Franz Hinkelammert

Manuskript   März 2020

Inhalt

I. Die Verschiedenheiten der monotheistischen Gottesvorstellungen. Die supranaturalistische Denkweise und die menschliche Subjektivität. Utopien die den Charakter von transzendentalen Illusionen annehmen.

II. Die Erscheinung Gottes auf dem Berg Sinai: das perpetuum movile

III. Der Kern der Theorie der Gesellschaft in unserer Welt. Das Leben ohne den Tod als grosse menschliche und allgemeine Utopie.

IV. Die Befreiung gegenüber dem Gesetz, nicht die Befreiung vom Gesetz.

V. Die Unabhängigkeit von jeder Sklaverei.

VI. Das Fenster der Unmöglichkeiten.

VII. Bonhoeffer und die Transzendenz Gottes.

I. Die Verschiedenheiten der monotheistischen Gottesvorstellungen. Die supranaturalistische Denkweise und die menschliche Subjektivität.

Ich möchte jetzt  auf eine Position des modernen Christentums eingehen, die sich insbesondere nach dem Zweiten Weltkrieg entwickelte und die sich vor allem als Kritik einer supranaturalistischen Denkweise vorstellt, Ich will sie zuerst vorstellen in der Form, in der sie John Robinson, ein englischer Bischof, im Jahre 1963 in einem Buch mit dem englischen Titel: Honest to God und dem deutschen Titel: Gott ist anders vorgelegt hat.[1]

Dieses Buch spricht davon, dass das Christentum sich in einer Art Legitimitätskrise befindet und dass es dem neuen modernen Denksystem gegenüber seine Legitimität verliert.

" Jeder von uns lebt mit irgendeinem Bild von einem Gott "außerhalb", von einem

Gott, der über und jenseits der Welt existiert, die er geschaffen hat, einem Gott, "zu" dem wir beten, und zu dem wir "gehen", wenn wir einmal sterben" S. 24

" Aber allem Anschein nach haben wir den Punkt erreicht, an dem die ganze Vorstellung von einem Gott außerhalb der Welt, die uns seit der Überwindung des dreistöckigen Weltbildes so gute Dienste geleistet hat, eher hinderlich als hilfreich geworden ist." Robinson S. 25

Das neue Denken der Moderne ist daher dabei, diese im Christentum herrschende Gottesvorstellung einfach zu verdrängen:

"Das alte Denksystem ist also nur allmählich verdrängt worden. Nachdem es wissenschaftlich unmöglich geworden war, leistete es der Theologie doch weiterhin gute Dienste; die Vorstellung von einem Gott "über der Welt" war immer noch lebendig, auch als man sie schon seit Jahrhunderten nicht mehr wörtlich nahm. Heute allerdings sehen wir uns meiner Meinung nach einer doppelten Krise gegenüber. Der letzte, in vieler Hinsicht überzeugende Schlag der modernen Wissenschaft und Technik gegen das Bild von einem Gott, der sich im wörtlichen Sinne "außerhalb der Welt" befindet, wurde zur selben Zeit geführt, in der man entdeckte, dass auch die Vorstellung von einem Gott, der sich im metaphysischen Sinne "außerhalb der Welt" befindet, eher ein Stein des Anstoßes als eine Hilfe für den Glauben geworden war." Robinson 26

Was sich von Seiten des Christentums herausgebildet hat, ist eine supranaturalistische Denkweise, die Gott sieht als "ein Wesen neben anderen, dessen unabhängige Existenz über und ausserhalb aller Dinge bewiesen werden muss," Robinson S. 39

"Die eigentliche Frage für uns ist jedoch, wie weit der christliche Glaube mit der supranaturalistischen Denkweise identisch ist oder wie weit er letztlich an sie gebunden ist...

Das biblische Weltbild mit seinem dreistöckigen Universum, in dem Gott oben, über der Natur wohnt, ist eindeutig supranaturalistisch geprägt. Wenn wir auch dieses Weltbild von seinen naiven Vorstellungen befreien, so bleibt doch ein im Grunde mythologisches Bild von Gott und seinem Verhältnis zur Welt übrig. Hinter solchen Sätzen wie: "Gott schuf Himmel und Erde" oder "Gott kam vom Himmel" oder "Gott sandte seinen eingeborenen Sohn" verbirgt sich ein Weltverständnis, das Gott als eine Person vorstellt, die im Himmel wohnt und die sich von den Göttern der Heiden darin unterscheidet, dass sie keinen anderen Gott neben sich hat. Robinson S. 41

Die mündige Welt von Dietrich Bonhoeffer

Dies führt dann zur Forderung einer "mündigen Welt", die Robinson in Übereinstimmung mit Dietrich Bonhoeffer vorstellt:

"Und wir können nicht redlich sein ohne zu erkennen, dass wir in der Welt leben müssen - etsi deus non daretur (als ob es Gott nicht gäbe).  Robinson S.46

Robinson zitiert dann Bonhoeffer:

"Der Gott, der uns in der Welt leben läßt ohne die Arbeitshypothese

Gott, ist der Gott, vor dem wir dauernd stehen. Vor und mit Gott leben

wir ohne Gott. Gott läßt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz, Gott

ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei

uns und hilft uns .

. . . Hier liegt der entscheidende Unterschied zu allen Religionen. Die

Religiosität des Menschen weist ihn in seiner Not an die Macht Gottes in

der Welt, Gott ist der deus ex machina . Die Bibel weist den Menschen an

die Ohnmacht und das Leiden Gottes; nur der leidende Gott kann helfen.

Insofern kann man sagen, dass die beschriebene Entwicklung zur Mündigkeit der Welt, durch die mit einer falschen Gottesvorstellung aufgeräumt

wird, den Blick freimacht für den Gott der Bibel, der durch seine Ohnmacht in der Welt Macht und Raum gewinnt. Hier wird wohl die weltliche Interpretation' einzusetzen haben."[2]

Damit stellt Robinson die Frage des Theismus:

"Es ist genau diese Gleichsetzung des christlichen Gottesverständnisses mit dem Gottesverständnis des Theismus, die wir infrage stellen müssen. Steht und fällt das Evangelium etwa damit? Keinesfalls. Ich bin überzeugt, dass Tillich recht hat, wenn er sagt: "Der Protest des Atheismus gegen eine solche höchste Person ist berechtigt. " Und dieser Protest, der heute mit dem Hinweis auf die Bedeutungsleere solcher metaphysischer Behauptungen vorgebracht wird, hat wieder andere in einer ganz neuen Weise existentiell betroffen."  S. 48

"Die Aufgabe besteht vielmehr darin, dass wir den Gedanken der Transzendenz für den modernen Menschen verstehbar machen, das heißt, dass wir seinen Wirklichkeitsgehalt in neuen nicht-"verobjektivierenden" (Bultmann), nicht-mythologischen Begriffen formulieren müssen, weil nur diese für uns heute Sinn und Bedeutung haben. Denn - so sagt Gregor Smith -: "Die klassische Lehre von der Transzendenz gehört einem veralteten Weltbild an." Wir wollen in keiner Weise die christliche Lehre von Gott verändern, sondern wir wollen verhüten, dass sie zusammen mit solchen veralteten Weltbildern untergeht." Robinson S. 51

Robinson sucht jetzt die Weise, wie  man diesen supranaturalistischen Gott beiseite lassen kann und einen anderen a seine Stelle setzt. Er bezieht sich dafür auf Tillich:

"Wenn Tillich von dem Gott in der "Tiefe" redet, dann meint er kein anderes Wesen. er redet vielmehr von der unbegrenzten und unerschöpflichen Tiefe und dem Grund alles Seins, von dem, was uns unbedingt angeht, was wir ernst nehmen ohne allen Vorbehalt. Im Anschluß an den oben zitierten Abschnitt

spricht Tillich nicht nur von der Tiefe unseres persönlichen Lebens,

sondern von den tiefsten Quellen unserer sozialen und geschichtlichen Existenz." Robinson S. 53

Im folgenden Zitat  beschreibt er dann, was diese Vorstellung bei Tillich bedeutet und in welchem Sinne Robinson sie übernimmt:

" Was Tillich unter Gott versteht, ist genau das Gegenteil von einem deus ex machina, einem übernatürlichen Wesen, dem man sich zuwenden kann, weg von der Welt, und mit dessen Eingreifen von außen man rechnen kann. Gott ist nicht außerhalb der Welt. Er ist - um mit Bonhoeffer zu reden - "mitten in unserem Leben jenseitig", eine Tiefe der Wirklichkeit, die "nicht an den Grenzen"des Lebens zu finden ist, sondern "in der Mitte", die nicht der Einsame erreicht, der Zuflucht bei dem "Einsamen" sucht, sondern die einem - um mit Kierkegaard zu sprechen - durch ein "tieferes Eintauchen in die Existenz" zuteil wird. Denn das Wort "Gott bezeichnet die letzte Tiefe all unseres Seins, den schöpferischen Grund und den Sinn unserer ganzen Existenz. " S. 54

Wie Robinson hier Bonhoeffer interpretiert, werde ich später diskutieren. Aber ich finde, dass gerade Tillich sehr richtig beschrieben ist. Hier ist jetzt Gott die Tiefe all unseres Seins, der schöpferische Grund und der Sinn unserer ganzen Existenz. Er führt scheinbar zu einem tieferen Eintauchen in die Existenz:

"Wenn das wahr ist, dann sind theologische Aussagen nicht Definitionen eines »höchsten Wesens", sondern Aussagen über die Tiefe personaler Beziehungen, oder besser, Aussagen über die Tiefe aller menschlichen Erfahrung im Lichte der Liebe. Theologie ist das - wie Tillich betont -, was uns "unbedingt angeht". Ein Satz ist nicht deshalb theologisch, weil er etwas über ein bestimmtes Wesen mit

dem Namen Gott aussagt, sondern weil er letzte Fragen über den Sinn des Daseins aufwirft: Er fragt auf der Ebene des theos, auf der Ebene ihres tiefsten Geheimnisses, nach der Wirklichkeit und dem Sinn unseres Lebens. Ein Weltverständnis, das diese Wirklichkeit und diesen Sinn in personalen Kategorien auslegt, gibt ipso facto eine Auslegung für die letzte Gültigkeit persönlicher Beziehungen: Es besagt, daß Gott, die letzte Wahrheit und Wirklichkeit in der Tiefe, Liebe ist. Und das speziell christliche Weltverständnis bezeugt, dass diese Realität, von der" uns nichts zu scheiden vermag", weil sie der Grund all unseres Seins ist, letztlich die "Liebe Gottes in Christus Jesus, unserem Herrn " ist. Robinson S. 56

Die "wahre Welt"  in diesem Prozess

Dieser Gesichtspunkt hat dann folgende Konsequenz:

"Nach christlichem Verständnis ist dagegen das Heilige die" Tiefe" des Weltlichen, wie ja auch das "Säkulare" nicht ein (gottloser) Bereich des Lebens ist, sondern die Welt Gottes, für die Christus gestorben ist, die aber von ihrer wahren Tiefe abgeschnitten und ihr entfremdet ist. Gottesdienst ist kein Sich-Zurückziehen vom Säkularen in einen Bereich des Religiösen, keine Flucht aus "dieser Welt" in die "andere Welt", sondern das Sich-öffnen für die Begegnung mit Christus im Weltlichen, für die Macht, die die Oberflächlichkeit der Welt durchdringt und sie aus ihrer Entfremdung erlöst." Robinson S. 92

Robinson geht dann dazu über, die Herkunft dieser Anullierung jeder "anderen Welt" aufzuzeigen. Er sieht sie folgendermassen:

"Huxley sagt: "Für mich persönlich bedeutet die Ablehnung der Vorstellung von Gott als einem übernatürlichen Wesen eine ungeheure geistige Befreiung." Doch schon früher haben Männer wie Feuerbach und Nietzsche, die Proudhon treffend als "Antitheisten" und nicht als Atheisten bezeichnete, eine solche höchste Person im Himmel als den großen Feind des Menschen auf seinem Wege zur Mündigkeit angesehen." Robinson S. 48

Es ist gerade Nietzsche derjenige, der die "Vorstellung von Gott als einem übernatürlichen Wesen" und die entsprechende "geistige Befreiung"  ausgedehnt hat auf jede Vorstellung  einer anderen Welt. In der Sprache Nietzsches ist diese andere Welt die "wahre Welt". Man sieht dann, dass Nietzsche der eigentliche Bezugspunkt für diese gesamte Sicht einer geistigen Befreiung ist. Als grosser Feind des Menschen erscheint dann sowohl die höchste Person im Himmel wie auch die angebliche Flucht aus dieser Welt in die andere Welt und damit die Ableitung einer "wahren Welt". Man sieht dann, dass die eigentliche Form der Kritik an der "supranaturalistischen Denkweise" vor allem von Nietzsche abstammt. Nietzsche selbst sagt dies ja auch, wenn er sagt:

"...Die wahre Welt haben wir abgeschafft: welche Welt bleibt übrig? die scheinbare vielleicht?... Aber nein! mit der wahren Welt haben wir auch die scheinbare abgeschafft!"[3]

Es gibt nur noch eine Welt, die eben schlechterdings diese Welt ist, in der wir leben. Dies schafft dann den Freiraum, in dem der Wille zur Macht  alle Ethik und alle Moral ersetzen kann.

Diese Behauptung von Nietzsche ist hier ganz zentral. Nur wenn diese andere Welt als wahre Welt abgeschafft ist, können wir die vorherige Zitierung von Tillich einfach übernehmen. Aber gerade das würde ich bestreiten. In meiner letzten Veröffentlichung "Gott wird Mensch und der Mensch macht die Moderne"[4] habe ich versucht, dies ausführlich zu begründen. Die Konzepte, die ich mit Nietzsche ebenfalls die Konzepte  "wahrer Welten" nennen würde, sind überhaupt nicht abgeschafft, sondern haben mit der Entwicklung der Moderne ihren Ort gewechselt. Kann Nietzsche sie noch vor allem unter religiösem Gesichtspunkt kritisieren und dabei durchaus häufig sehr interessante Gesichtspunkte aufzeigen, so tauchen sie jetzt im Inneren der empirischen Wissenschaften auf, wo sie ständig aufs neue formuliert und auch entwickelt werden.  Es geht dabei um die Konzeption eines menschlichen Lebens ohne den Tod, von der aus unsere gelebte Wirklichkeit dann als sterbliches Leben konzipiert wird. Es handelt sich dabei um eine lange Tradition des Denkens, die in der Moderne eben als Teil der empirischen Wissenschaften (vor allem Naturwissenschaften und Sozialwissenschaften) aufs neue auftauchen. Sie stehen in unserer Kultur schon ganz am Anfang mit dem ersten Epos von Gilgamesch vor fast 4.000 Jahren, der die ganze Welt durchwandelt auf der Suche nach einem Leben ohne den Tod und dabei scheitert. Er muss anerkennen, dass dieses Leben ohne den Tod nur bei den Göttern zu finden ist und ein Weiterleben nur in der Erinnerung der folgenden Generationen möglich ist. Aber als grosse Utopie bleibt dieses Ziel weiterhin bestehen. Es taucht dann wieder sehr deutlich in der jüdischen Kultur auf und wird dann von dem Apostel Paulus in das römische Imperium eingeführt, in dem es sich dann als Christentum weiter entwickelte. Bei Paulus taucht diese Utopie jetzt als eine Vorstellung der Welt als diese Erde ohne den Tod auf.  Da die Unmöglichkeit der Verwirklichung dieser Vorstellung als unmöglich für den Menschen offenbar war, führte dies zu der Vorstellung einer Auferstehung der Toten durch die Aktion Gottes für das Ende der Geschichte und das Weiterleben nach dem Tode in einer Umwandlung der irdischen Schöpfung in  eine neue und zweite Schöpfung, die mit diesem Leben ohne den Tod vereinbar sein würde.

Diese Vorstellung war eines der Zentren des entstehenden Christentums und ist es weiterhin  noch, obwohl in einer Geschichte, in der die vorgestellten Formen dieser Vorstellung sich ändern und auch entwickeln. Ich kann diese Entwicklung hier nicht weiter aufzeigen und verweise daher auf Analysen, die von anderen Mitgliedern unserer Gruppe vom Collège de Brousse  verfasst wurden.[5]

In den empirischen Wissenschaften der Moderne bis heute taucht dann aufs neue diese grosse ursprüngliche Utopie wieder auf, obwohl sie bisher nicht als solche erkannt oder akzeptiert wurde. Ich kann hier nur einfach darauf hinweisen, ohne genaue Analysen vorzulegen. Aber ich habe ja schon auf das Buch  hingewiesen, in dem ich die entsprechenden Analysen ausführlich bespreche. Ich will aber eine kurze Zusammenfassung hier vorlegen und werde dabei vor allem von den Wirtschaftswissenschaften ausgehen.

Ich möchte einfach nur auf drei Theorien hinweisen. Es ist die Theorie des Wettbewerbs auf dem Markt, die Theorie der Wirtschaftsplanung und die Theorie der Unternehmung, die häufig als Theorie der Firma angesprochen wird.  Man spricht in Bezug auf diese Theorien gewöhnlich  von Theorien des vollkommenen Wettbewerbs und Theorien der vollkommenen Planung oder auch Theorien der perfekten Unternehmung. Diese Theorien haben als Zentrum immer die Vorstellung einer perfekten Verwirklichung der entsprechenden Institutionen und ihrer Funktionen. Ausgehend von dieser theoretischen Aufgabe, ergibt sich dann die Frage, welche Bedingungen erfüllt sein müssten, damit die entsprechenden Funktionen dieser Institutionen des Marktes, der Planung oder der Unternehmung perfekt funktionieren können. Alle drei haben als eine der zentralen Bedingungen für ein perfektes Funktionieren die absolute Faktenkenntnis von Seiten aller Marktteilnehmer oder Planer. Manche Ökonomen sprechen direkt vom der  Voraussetzung der Allwissenheit über alle Fakten.  Dies zeigt von vornherein schon an, dass die Theorie, die dann folgt, eine Perfektion beschreibt, die in der empirischen Wirklichkeit absolut unmöglich ist. Es sind Idealisierungen der Wirklichkeit, die unmöglich zu verwirklichen sind. Aber sie haben ein theoretisches Ziel: Sie geben den Standpunkt an, von dem aus die empirische Wirklichkeit erkennbar wird in dem Sinne der Möglichkeiten ihres empirischen Funktionierens.

Hierbei ist immer die Voraussetzung des absoluten Wissens nötig, um von aller Kontingenz und allen Zufälligkeiten abstrahieren können, deren Berücksichtigung immer die Formulierung empirischer Gesetze unmöglich machen müsste. Ohne diese Voraussetzung ist unsere Erfahrungswirklichkeit voller Zufälle und ist immer kontingent. Diese Kontingenz  gibt die Möglichkeit wieder, dass etwas eintritt oder eben nicht eintritt, oder dass es ganz grundsätzlich anders sein könnte, als es ist.

Die empirischen Wissenschaftler machen zwar die erwähnten Abstraktionen, aber sie diskutieren nicht, dass sie diese Konsequenzen haben. Aber es gibt Reflektionen, die sich daran zumindest annähern.  Einer der Theoretiker der Unternehmung, Edward Hay, kommentiert den Grundbegriff seiner Theorie, Just in Time: «Man muss bedenken, dass das, was hier präsentiert wird, ein Bild des Perfekten ist [...] Auch wenn es utopisch erscheinen mag, von Perfektion zu sprechen, ist es  notwendig zu verstehen, worin diese besteht, um zu wissen, wohin ein Unternehmen gehen sollte.»[6] Wenn man das Perfekte nicht kennt, kann man auch keine empirische Erklärung geben für den wirklich und nicht perfekten Ablauf unserer empirischen Wirklichkeit.

Dieser Theoretiker der Unternehmung ist sich absolut bewusst, dass dies eine transzendentale Reflexion ist. Was ihm fehlt, ist eine kritische Bewertung der Konstruktion der perfekt funktionierenden Mechanismen und ihrer Folgen für das menschliche Zusammenleben.

Die Worte Edward Hays geben uns wirklich ein Beispiel der effektiven und effizienten Anwendung eines mythischen Gedankens! Hay ist sich ganz offensichtlich bewusst, dass er eine "wahre Welt" beschreibt, also eine der wahren Welten, von denen Nietzsche behauptet, dass er sie abgeschafft hat.[7]

Dies führt uns dann zur Diskussion der Bedeutung, die diese Voraussetzung des absoluten Wissens für die Erfahrungswissenschaften hat. Wir müssen dafür nur  herausstellen, was diese absolute Faktenkenntnis  tatsächlich impliziert. Sie impliziert notwendig, dass diese Menschheit mit absoluter Faktenkenntnis nicht sterblich sein kann. Dies folgt daraus, dass wir eben vom Tod abstrahieren, wenn wir ein absolutes Wissen voraussetzen. Denn der Tod ist notwendig kontingent, und die Annahme des vollkommenen Wissens ist nicht möglich, ohne dass gleichzeitig die Abschaffung der Kontingenz angenommen wird.

Das Ergebnis ist, dass tatsächlich die empirischen Wissenschaften  ständig   Begriffe die wir "wahre Welten" nennen können und die beweisen, dass es ein Irrtum Nietzsches ist, wenn er sagte: "...Die wahre Welt haben wir abgeschafft:!"[8] Die wahre Welt ist nicht abgeschafft worden, sondern sie wurde  säkularisiert und wurde damit fast allgegenwärtig in den empirischen Wissenschaften und daher in unserem Leben als "mündige" Mitmenschen überhaupt.

Es handelt sich tatsächlich um die wahre Welt, wie sie seit Gilgamesch vor etwa 4.000 Jahren gedacht wird. Aber sie ist nicht völlig die Gleiche. Bei Paulus gilt diese wahre Welt  als etwas das sich verwirklichen wird. Aber die Verwirklichung hängt bei ihm davon ab, dass es einen Gott gibt, der das Unmögliche für den Menschen möglich macht. In unseren Ideologien des Transhumanismus wird es für möglich erklärt, wenn man unseren technischen Fortschritt als einen unendlichen Fortschritt auffasst, der dann ja praktisch zum Glauben an die Allmacht des Menschen führt und dann auch die Abschaffung des Todes durch den Menschen als möglich ansieht.

Der befreiende Gott

Ich möchte jetzt versuchen, zu verstehen, was heute die Tendenz zur Entwicklung dieser bisher gezeichneten Situation ist. Daher möchte ich mit einer Analyse der von Robinson gebrachten Zitate aus den Stellungnahmen Bonhoeffers zu dieser Problematik. beginnen.

Allerdings werde ich mit einem Bonhoeffer-Zitat beginnen, das Robinson nicht bringt und das mir für den Einstieg in diese Problematik grundlegend zu sein scheint. Bonhoeffer sagt:

"Einen Gott den es gibt, gibt es nicht."[9]

Ich nehme an, dass Bonhoeffer damit etwas sagt und dies wohl auch sagen will. Der Gott, den es gibt und den es dann gerade deshalb auch nicht gibt, ist einfach der Gott, der als höchstes Sein aufgefasst wird. Das ist der Gott von Augustin und Thomas von Aquin und daher beherrschende Gott des Christentums seit dem 4. Jahrhundert, der dies auch vielfach heute noch bleibt. Es ist der Gott,  der aus der griechischen Philosophie des Seins entwickelt wurde. Es ist der Gott, der das was ist legitimiert. Er legitimiert zuerst die Macht des römischen Reiches und damit die Sklaverei und danach den Feudalismus mit seiner Leibeigenschaft. Danach neigt er dazu, immer das Privateigentum als Menschenrecht zu verstehen und damit in ein Verhältnis der Legitimierung zum Kapitalismus zu kommen. Von diesem Gott sagt jetzt Bonhoeffer, dass es ihn nicht gibt. Er sagt es, obwohl etwa 1500 Jahre dieser Gott der das Christentum dogmatisch beherrschende Gott war, obwohl nie einfach der einzige Gott. Diesen Gott will jetzt Bonhoeffer kritisieren. Dabei ist sehr offensichtlich, dass Bonhoeffer eben den jüdischen Gott Jahwe weiterhin als Gott ansieht, so wie er der Gott des Christentums in den ersten Jahrhunderte bis zur konstantinischen Wende im 4. Jahrhundert war. Dieser Gott des Christentums der ersten Jahrhunderte verschwand aber nicht einfach, sondern wurde durch den Gott als das höchste Sein und auf einen sekundären Platz verdrängt.

Dieser jüdische Gott ist nicht irgendein höchstes Sein. Aber ein Bild von ihm wird nicht entwickelt und es gibt eines der zehn Gebote, das verbietet, sich von ihm ein Bild zu machen. Dies impliziert, dass er auch nicht Gegenstand der menschlichen Erkenntnis oder Forschung sein kann. Aber dies scheint mir jetzt die Auffassung von Bonhoeffer zu sein. Wir können dann den zitierten Satz auch umgekehrt lesen. Er könnte dann sagen:

Der Gott, den es nicht gibt, ist der Gott den es gibt.

Ein Gott, den es gibt, kann es nur jenseits unserer Seinsvorstellungen in der Philosophie des Seins  geben. Gott kann in diesem Sinne der Seinsphilosophie kein Sein sein.

Aber Robinson, der eine wirklich sehr befriedigenden Analyse dieser Gottesvorstellung des Gottes als höchstem Sein gibt, die er als deus ex maquina denunziert, schliesst ganz selbstverständlich in diese seine Kritik auch die gleiche Kritik für den Gott Jahwe ein. Er sieht gar nicht, dass dieser Gott Jahwe eine ganz andere Gottesvorstellung voraussetzt als der Gott als höchstem Sein.

Indem Robinson dies tut, zitiert er einen Bonhoeffer der in Wirklichkeit das genaue Gegenteil davon sagt, was Robinson behauptet. Ich bringe eins der entsprechenden Zitate:

"Er ist - um mit Bonhoeffer zu reden - mitten in unserem Leben

jenseitig", eine Tiefe der Wirklichkeit, die "nicht an den Grenzen"

des Lebens zu finden ist, sondern "in der Mitte", die nicht der

Einsame erreicht, der Zuflucht bei dem "Einsamen" sucht, sondern

die einem - um mit Kierkegaard zu sprechen - durch ein "tieferes

Eintauchen in die Existenz" zuteil wird.." Robinson S. 54

Hier haben wir jetzt ein Zitat von Bonhoeffer, das entscheidend ist. Es sagt: Gott ist "mitten in unserm Leben jenseitig". Schliesst dann aber mit einem Zitat von Kierkegard: " Denn das Wort 'Gott' bezeichnet die letzte Tiefe all unseres Seins, den schöpferischen Grund und den Sinn unserer ganzen Existenz." Etwas danach sagt dann Robinson:

"Wer sagt, .,Gott ist Liebe", der glaubt, dass durch die Liebe der Mensch mit der tiefsten Wirklichkeit, die es überhaupt gibt, in Berührung kommt, ja dass das Sein selbst letztlich Liebe ist." Robinson S. 60

Aber Bonhoeffer hatte doch gesagt: Gott ist mitten in unserm Leben jenseitig. Er spricht daher von einem Jenseits, das wir eben als Jenseits in Bezug auf das  Sein interpretieren sollten. Diese Dimension der Jenseitigkeit Gottes nimmt Robinson dem Bonhoeffer einfach weg. Dieses Jenseits ist ein Jenseits in Bezug auf das Sein und als solche gerade keine Kategorie des Seins und auch nicht des Seins Gottes. Es ist eben das Jenseits eines Seins, in dem die Philosophie des Seins verbleibt und damit eben auch in ihrer Gottesvorstellung als höchstem Sein.

Es wird dann also wichtig, dieses Jenseits Gottes dem philosophischen Sein gegenüber zu entwickeln. Dieser Gott ist kein Deus ex maquina. Indem es sich aber um das jenseits des Gottes als deus ex maquina handelt, kann dieser Gott nicht ein im Sein anwesender Gott sein. Wir müssen ihn als einen Gott sehen, dessen Abwesenheit anwesend ist und von dem wir uns daher kein Bild machen können.. Eben das sollten wir aber auch nicht zu machen versuchen. Es geht dann darum, diesen Gott gegenwärtig zu machen. Man tut es dadurch, dass man sich gemeinsam mit ihm befreit.

Wir können aber von diesem Gott nichts wissen, ausser dem was er uns gegenüber tut. Darauf aber bezieht dieser Gott sich. Auf dem Sinai sagt er, bevor er die Gebote gibt: Ich habe euch befreit aus dem Sklavenhaus Ägypten. Dies ist also dieser Gott: ein befreiender Gott.

Aber ein befreiender Gott ist notwendig ein Gott des Lebens. Er kann nicht ein Gott sein der sich selbst als höchstes Sein einschätzt. Als solch ein Gott des Lebens stellt er sich dann auch vor:

"Leben und Tod, Segen und Fluch habe ich dir vor Augen gestellt. So sollst du denn, damit du und deine Nachkommen am Leben bleiben, das Leben wählen,...“ Deuteronomium 30,19

Die Befreiung von der Sklaverei ist nur dann eine definitive Befreiung. wenn sie gleichzeitig eine Wahl ist von Leben oder Tod, Segen oder Fluch, und die das Leben wählt. Dies wird dann als eine grosse Einladung für die gesamte Menschheit ganz grandios gefeiert mit viel Wein und gutem Essen:

"Bereiten wird der Herr der Heerscharen allen Völkern auf diesem Berg ein

Festmahl mit fetten Speisen, ein Mahl mit alten Weinen, mit markigen, fetten

Speisen, mit alten erlesenen Weinen! Auf diesem Berg nimmt er die Hülle

weg, die auf allen Völkern liegt, und die Decke, die über allen Nationen ausgebreitet ist. Er vernichtet den Tod auf immer, Gott, der Herr, wischt ab die

Tränen von jedem Angesicht und nimmt seines Volkes Schmach hinweg von

der ganzen Erde." ( Jes 25,6–8)

Dieses Festessen ist dann  das Ereignis, von dem aus Gott verkündet, dass es keinen Tod mehr geben wird: "Er vernichtet den Tod." Der Gott Jahwe enthüllt sich damit selbst als das was er zutiefst ist: Gott des Lebens. Diese Tradition wurde dann vom Christentum aufgenommen, aber wieder verraten, als das Christentum vom 4. Jahrhundert an seinen Thermidor, nämlich die konstantinianische Wende, durchführt, und diesen Gott absetzte und an seine Stelle den Gott stellte, der als das höchste Sein vorgestellt wird. Dieser Gott ist ein die Macht legitimierender Gott, der weder ein Gott der Befreiung noch ein Gott des Lebens ist. Dieser Gott der Befreiung wird aber nicht einfach zum Verschwinden gebracht, sondern nimmt jetzt einen sekundären Platz ein, der sehr häufig dann ein Platz für die Rebellion, aber auch für die Revolution ist.

Robinson erwähnt diese Problematik nicht einmal. Für ihn gibt es nur einen Gott, und den will er absetzen. Aber es ist einfach der Gott, der in der christlichen Tradition den Gott Jahwe im 4. Jahrhundert ersetzte durch einen Gott, der aus der  griechischen Philosophie des Seins abgeleitet wurde und der schlechterdings als Zentrum die Legitimierung der Macht hat. Seine Kritik der Gottesvorstellung ist ganz ausschliesslich eine Kritik dieses Gottes, und ich finde diese Kritik, die Robinson hier macht, völlig richtig und für mich völlig überzeugend. Diese Kritik von Seiten Robinsons ist ja ganz ähnlich der Kritik die Tillich dieser Gottesvorstellung  widmet. Aber beide tuen einfach so, als wenn dies eine Kritik aller möglichen Gottesvorstellungen als solche wäre.

Robinson  definiert dann Gott als eine weitgehend gesichtslose Substanz, deren Begriff er mit Tillich teilt. Ich zitiere dies noch einmal:

"Es besagt, daß Gott, die letzte Wahrheit und Wirklichkeit in der Tiefe, Liebe ist. Und das speziell christliche Weltverständnis bezeugt, daß diese Realität, von der  'uns nichts zu scheiden vermag', weil sie der Grund all unseres Seins ist, letztlich die 'Liebe Gottes in Christus Jesus, unserem Herrn' ist."  S. 56

Häufig kann ich dahinter nicht mehr entdecken als ein "seid nett zueinander", das zu wenig aussagt.

Der Gott Jahwe, der befreit, hat allerdings ein anderes Gesicht bekommen.  Als Gott sich vorstellte als Befreier von der Sklaverei in Äpypten, war er ein Gott, der selbst den Befreiungsprozess leitete und der gleichzeitig Gesetzgeber und Autorität war. Dies ändert sich mit der Menschwerdung Gottes in der Entstehung des Christentums. Es entsteht ein Gott, wie ihn der jetzige Papst beschreibt. Der Papst sagt, dass dieser Gott

"den Menschen zu seiner vollen Verwirklichung ruft und zur Unabhängigkeit von jeder Art von Sklaverei."[10]

Gott ist jetzt Befreier im Sinne eines Gottes, der den Menschen dazu aufruft, sich zu befreien und der sich auf die Seite dieses Befreiungsprozesses stellt. Der Befreiungsprozess selbst ist jetzt die Selbstverwirklichung des Menschen durch die Befreiung von jeder Sklaverei. Dies bedeutet aber, dass er der Gott des Lebens ist, den Robinson nicht einmal erwähnt und eher durch eine weitgehend nichtssagende Gottesreferenz ersetzt. Ich kann aber nicht einsehen, warum dieser Gott einfach verschwinden soll. Jedenfalls bringt Robinson überhaupt kein Argument dafür.

Damit ist Gott jetzt nicht mehr Gesetzgeber und Autorität sondern ist jetzt  der Freund, der dem Menschen in seiner Befreiung beisteht. Und Gott unterstützt den Menschen jetzt mit einem klaren Ziel: sich von aller Sklaverei zu befreien, indem er sich auf die Seite des Lebens stellt. Es ist aber der Mensch, der diesen Befreiungsprozess selbst bestimmt. Gerade in diesem Sinne ist jetzt Gott Mensch geworden.

Dieser Gott ist gleichzeitig die Garantie dafür, dass die" wahre Welt" der transzendentalen Begriffe nicht einfach nur eine Unmöglichkeit  für die empirischen Wissenschaften und alle menschliche Aktion darstellt, sondern ebenso eine Möglichkeit, die entstehen kann für die Aktion irgendeines Gottes, den der Mensch  sich vorstellen könnte. In diesem Sinne ergeben sich Unmöglichkeiten für das menschliche Handeln, die für das Handeln Gottes möglich sind, obwohl nur in der Vorstellung von Menschen die an einen solchen Gott glauben. Aber der Ort, an dem diese "wahre Welt" sichtbar wird, scheint dieser Raum für eine andere Welt, ein "wahre Welt", zu sein, etwas, das die empirische Wissenschaft einfach notwendigerweise konzipieren muss und nicht aufhören kann, zu konzipieren. Es handelt sich nicht um eine Illusion, wie es Freud darstellte, sondern ein Bild, das diese Wissenschaften nicht vermeiden könnten. Folglich ist es eine wissenschaftliche Vorstellung. Es ist daher gleichzeitig die Vorstellung einer absoluten Freiheit, die die empirische Wissenschaft gegenwärtig macht ohne sie verwirklichen zu können.

II. Die Erscheinung Gottes auf dem Berg Sinai: das perpetuum movile

Es gibt  hierzu ein sehr altes Vorspiel. Es stammt aus der Bibel, in der Gott auf dem Berg Sinai Moses trifft. Dort heisst es, dass Gott zu Moses aus einem brennenden Dornbusch sprach. Dieser brennende Dornbusch aber verbrannte nicht. (Ex 3, 1-4) Daraus folgt, dass es ein perpetuum movile war. Die Verfasser des Textes sagen damit, dass Gott von einer anderen Welt her sprach, die eine Welt ist, in der das perpetuum movile möglich ist. Sie schreiben dies also im Bewusstsein, dass in unserer Welt das perpetuum movile nicht möglich ist. Es ist eine wahre Welt, von der aus Gott zu Moses spricht.

Dieser brennende Dornbusch, der nicht verbrennt, ist bereits ein Vorläufer eines entsprechenden späteren transzendentalen Begriffs. Die Tatsache aber, dass man im Falle der Erscheinung Gottes die Wirklichkeit dieses perpetuum moviles behauptet, besagt, dass man die vorgestellte Welt des verwirklichten perpetuum moviles und seines entsprechenden transzendentalen Begriffs für etwas empirisch Wirkliches erklärt. Dies ist aber etwas, was die moderne empirische Wissenschaft nicht tun kann.

Aber es bleibt das Ergebnis: Gott ist gegenwärtig von einer Welt aus, in der das perpetuum mobile möglich ist. Die Theologie aber kann sich diese Welt als verwirklicht vorstellen. Die empirische Wissenschaft muss sich diese Welt vorstellen, kann sie aber nur als Welt anerkennen, die unmöglich verwirklicht werden kann.  Es handelt sich um eine Welt, die für den Menschen unmöglich ist.

Aber diese Welt, in der das perpetuum movile möglich ist oder sein wird, ist ein Aspekt einer anderen Welt. Aber diese andere Welt ist nicht gegeben. Sie ist abwesend, aber ihre Abwesenheit ist anwesend. Die Welt  Gottes ist eine Welt, deren Anwesenheit abwesend ist. Diese andere Welt ist nicht ausserhalb dieser Welt als Sein existierend. Diese Form der Anwesenheit, die abwesend ist, ergibt die Transzendenz  Gottes, die hier vorgestellt wird.

Gott erscheint in einem brennenden Dornbusch, der brennt, ohne zu verbrennen. Das ist der Gott, in dessen Gegenwart  das perpetuum mobile nicht unmöglich, sondern Charakteristik der  Wirklichkeit ist. Es ist eine heilige, eine wahre Welt . Dies im Zusammenhang der gesamten Natur. Zwischen Menschen ist das: Ich bin, wenn du bist, das das gleiche ist wie: Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen. Sie ist gleichzeitig eine Welt ohne den Tod,  die ebenso  abwesend ist: ihre Anwesenheit ist abwesend. Es handelt sich um die andere, die umgekehrte Seite der uns gegebenen Welt.  Diese andere Welt ist als abwesend gegenwärtig. Sie ist nicht ein anderes Sein, das von ausserhalb unserer gegebenen Wirklichkeit handelt und ist. Sie ist das, was für Jesus - und Paulus-  das Reich Gottes ist. Es ist eine Anwesenheit, die abwesend ist, ohne die wir aber nicht leben können und die sich in unserem Leben - und zwar im Leben aller - ständig als Abwesenheit bemerkbar macht und häufig auch abgelehnt wird. Wenn man sie aber ablehnt, muss sie immer wieder abgelehnt werden, denn ihre Anwesenheit ist ständig aufs neue wieder anwesend.

"Moses hütete die Schafe seines Schwiegervaters Jetro, des Priesters von Midian. Einmal trieb er die Schafe über die Steppe hinaus und kam zum Berge Gottes, zum Horeb. Da erschien ihm der Engel Jahwes in einer Feuerflamme, mitten aus einem Dornbusch heraus. Und er sah hin, und siehe, der Dornbusch brannte im Feuer, aber der Dornbusch wurde nicht verzehrt. Da dachte Moses: 'Ich will doch hingehen und dieses seltsame Schauspiel betrachten, warum der Dornbusch nicht verbrennt". Exodus, 3,1-3

"Als Jahwe sah, dass er herantrat, um nachzusehen, rief Gott ihm aus dem Dornbusch zu: 'Mose, Mose!' Dieser antwortete: 'Hier bin ich!' Da sprach er: 'Tritt nicht näher heran! Ziehe Deine Schuhe von deinen Füssen, denn der Ort, auf dem du stehst, ist heiliger Boden!' Exodus 3,4-5

"Da sprach Gott zu Mose: 'Ich bin der Ich-bin'. Und weiter sagte Gott zu Mose: 'So sollst du zu den Israeliten sprechen: Der Ich-bin hat mich zu euch gesandt'.... Dies ist mein Name für alle künftige Zeit..." Exodus 3,14-15

Gott sagt: Ich bin der ich bin. Gemäss  Duns Scotus sagt Gott zum Menschen: Amo. Volo ut sis (Ich liebe dich: ich will dass Du bist.  Vielleicht besser noch würde man übersetzen: Ich will dass du Du bist, also dich selbst verwirklichst.) Der Mensch soll sich zu dem entwickeln, der er ist. Gott aber ist, was er ist. Der Mensch kann von Gott nicht erwarten, dass er wird, was er ist, weil Gott das ist, was er ist. Das aber was der Mensch werden muss, ist ein Mensch, der sich aller Sklaverei gegenüber unabhängig macht und der daher aller Sklaverei seiner selbst und aller anderen entgegentritt. Letztlich ist dies das: Ich bin, wenn du bist. Gott ist derjenige, der es ist, der aller Sklaverei entgegentritt und der dies ist. Eben dies soll der Mensch werden und in diesem Sinne wie Gott werden.

Diesen Gott stellt der Papst Franciscus vor.

Was Gott ist, ist nicht etwa seine angebliche Allmacht oder Allwissenheit etc. Sondern es ist, das zu sein was er ist. Dies heisst, gegen alle Sklaverei zu sein, die es gibt und dies als Sein zu haben. Er hat das als Sein, was der Mensch werden soll: jemand der sich aller Sklaverei wiedersetzt, der eigenen und der Sklaverei aller anderen.

Gott Jahve sagt dies dann auf dem Berge Sinai:

Ich bin Jahwe, dein Gott, der dich aus dem Ägypterlande, dem Sklavenhaus, herausgeführt hat. Exodus, 20,2 und Deuto 5,6 (Jerusalem)

Dies könnte die Philosophie des Seins nicht aussprechen. Für sie ist der Sklave  dazu da, ein guter Sklave zu sein und die Frau, eine gute Untergebene dem Mann gegenüber zu sein. So soll auch der Henker ein guter Henker sein.

Diese Freiheit gegenüber aller Sklaverei ist bei Marx durch andere Worte ausgesprochen:

zu leben "mit dem kategorischen Imperativ, alle Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist."

Dies heisst ja, sich jeder Sklaverei gegenüber unabhängig zu machen und ihr daher entgegenzutreten. Denn alle Verhältnisse, die umzuwerfen sind, sind das Produkt einer Unterwerfung unter irgendeine Sklaverei.

Dies ist das, wozu der Gott Jahve aufruft, zumindest nach der Meinung des jetzigen Papstes. Dieser sagt,

dass Gott "den Menschen zu seiner vollen Verwirklichung ruft und zur Unabhängigkeit von jeder Art von Sklaverei." Evangelii Gaudium, Nr. 57

Das ist der Gott Jahve wie er heute lebt. Dieser Gott Jahvbe ist nicht mehr ein Gesetzgeber, sondern ein Freund.

Die Fortsetzung ist Pfingsten  in der Apostelgeschichte 2,3

Damals erschienen den versammelten Aposteln „Zungen wie von Feuer“, wie es in der Apostelgeschichte (2,3) heißt. Da war also Feuer unterm Dach. Und obwohl das normalerweise brandgefährlich ist, scheint dieses Feuer keinen Schaden angerichtet zu haben: nichts ist verbrannt, die Apostel blieben unversehrt.

Dieser Gott ist Befreier von der Sklaverei.

Gott Jahve trifft auf dem Berg Sinai Mose, mit dessen Hilfe Gott das jüdische Volk aus der Sklaverei herausgeführt hat. Mose trifft ihn jetzt und Gott spricht mit ihm aus dem Dornbusch, der brennt ohne zu verbrennen. Und er übergibt ihm die zehn Gebote Gottes, damit er  sie dem jüdischen Volk übergibt und von denen aus Mose jetzt das jüdische Gesetz entwickeln soll. Aber wenn er dann mit den Gesetzestafeln Gottes zu seinem Volk zurückkommt, haben diese einen anderen Gott  verehrt. Mose reagiert als ein freudscher Vater. Er lässt tausende als Verantwortlich ermorden. Freud  geht dann davon aus, dass dieses Volk dann später ihn als Vater ermordet, sodass er nicht mit ihnen ans Ziel des gelobten Landes kommt.

Freud geht überhaupt nicht darauf ein, dass die Juden ja bereits vorher Abraham als ihren Vater angenommen und auch verehrt hatten. Freud wusste mit dieser Tatsache nichts anzufangen und erwähnte Abraham daher so gut wie gar nicht. Aber wir müssen zumindest diese Tatsache erwähnen, denn Abraham als Vater ermordete seinen Sohn nicht und wurde folglich auch von seinem Sohn nicht ermordet. Dieser Abraham als Vater ist genau das Gegenteil des freudschen Vaters, der seinen Sohn ermordet und dann von ihm ermordet wird.

Tatsächlich taucht in der jüdischen Geschichte kein ausdrücklicher freudscher Vater auf. Daher ist in der Genesis auch das Essen vom Verbotenen Baum nicht als Sünde bezeichnet. Die erste Sünde in der jüdischen Bibel ist der Brudermord  durch Cain, der seinen Bruder Abel tötet. In Wirklichkeit macht erst diese Tatsache es verständlich, warum der Gott Jahve für die Befreiung aller Sklaven eintritt: er ist der Gott einer Welt ohne den Tod und ist dies von Anfang an.

Diesen Charakter Gottes zeigt dann der Prophet Jesaja auf und es handelt sich hier um eine Ausführung, die möglicherweise bereits vor der Babylonischen Gefangenschaft gemacht wurde. Jesaja sagt:

"Bereiten wird der Herr der Heerscharen allen Völkern auf diesem Berg ein

Festmahl mit fetten Speisen, ein Mahl mit alten Weinen, mit markigen, fetten

Speisen, mit alten erlesenen Weinen! Auf diesem Berg nimmt er die Hülle

weg, die auf allen Völkern liegt, und die Decke, die über allen Nationen ausgebreitet ist. Er vernichtet den Tod auf immer, Gott, der Herr, wischt ab die

Tränen von jedem Angesicht und nimmt seines Volkes Schmach hinweg von

der ganzen Erde." ( Jes 25,6–8)

Es handelt sich hier um die Vision einer Welt, wie Gott sie zu machen verspricht.              

Ein Gastmahl für alle, und alle sind Gleiche vor Gott. Dies schliesst natürlich die Sklaven und die Frauen mit ein. Und davon ausgehend macht Gott das Versprechen einer zukünftigen Welt ohne den Tod. Er geht daher vom Ende der Sklaverei aus bis in die Welt ohne den Tod. Für dieses Gastmahl gilt dann natürlich: Da gibt es nicht mehr Juden und Griechen, Sklaven und Freie, da gibt es nicht Mann und Frau. (Gal 3,28)

Dies ist die jüdische Kultur, die sich hier von dem aus, was sie ist, entwickelt..

Aber es gibt noch ein anderes Gebiet, das interessant sein könnte. Es handelt sich um das Gebiet  der Funktionsmechanismen, die naturwissenschaftliche und nicht soziale Mechanismen sind. Es handelt sich um Mechanismen wie die des Trägheitsgesetzes. Es handelt sich ebenfalls um transzendentale Begriffe. Sie beschreiben hier in diesem Fall das Unmögliche, das wir das perpetuum movile nennen. Dieses perpetuum movile ist die Grenze des menschlich Möglichen. Aber diese Begriffe enthalten nicht den Widerspruch, den wir in den entsprechenden sozialwissenschaftlichen transzendentalen Begriffen gefunden haben.

III. Der Kern der Theorie der Gesellschaft in unserer Welt. Das Leben ohne den Tod als grosse menschliche und allgemeine Utopie.

Die menschliche Geschichte hat als ihre grosse Utopie, die gelebt wird, ohne vom Menschen verwirklicht zu werden: die Utopie eines Lebens ohne den Tod.

Der Tod ist immer Kontingent. Daher ist das Denken eines Zustandes ohne Kontingenz das Denken eines Lebens ohne den Tod. In der Theologie ist es die Basis der neuen Erde.

Aber auch die empirischen Wissenschaften entwickeln in ihren Argumentationen solche Zustände ohne Kontingenz. Dies gilt etwa für das, was die Ökonomen den vollkommenen Wettbewerb nennen. In den Ableitungen des Begriffs des vollkommenen Wettbewerbs wird meistens als Voraussetzung eines solchen Modells das absolute Faktenwissen jedes Marktteilnehmers genannt. Dies ist ein  Zustand ohne Kontingenz, folglich auch ohne den Tod. Diese Marktteilnehmer müssen notwendig als unsterbliche Menschen gedacht werden.

Der Anfang dieser grossen Utopie: Gilgamesch

Bei Gilgamesch wird die Welt der Ort, der anders sein müsste als er ist. Das menschliche Leben müsste ein Leben ohne Tod sein , aber es ist das nicht. Deshalb zieht Gilgamesch durch die Welt auf der  Suche nach der Unsterblichkeit

Gilgameschs Werk handelt von seiner Suche nach Unsterblichkeit nach dem Tod seines Freundes Enkidu. Gilgameschs Suche scheitert jedoch. Gilgamesch kommt zu dem Schluss, dass der Mensch dem Schicksal des Todes nicht entkommen kann. Ein Leben ohne Tod ist nur ein Leben der Götter. Diese Götter, die Gilgamesch sieht, führen ein Leben wie die Menschen, nur ohne Tod. Nach seiner Rückkehr in seine Stadt,  wo er nun die bleibenden Ergebnisse seines Handelns, in dem er noch immer gegenwärtig ist, herausstellt und somit im zukünftigen Leben der Menschen nach ihm weiterlebt. denkt er seine Zukunft über seinen Tod hinaus als sein eigentliches Weiterleben nach seinem Tode.

Dies ist die Vorstellung des Gilgamesch einer solchen Grundsituation.

Dies ist eine Grundstruktur, die dann aber sehr viel weiter entwickelt wird. Diese Entwicklung geschieht besonders  deutlich zuerst in der ägyptischen Kultur und danach in der jüdischen Kultur, wie sie sich im ersten Jahrtausend vor unserer Zeit  entwickelt.

Ein wichtiger Schritt in der Entwicklung dieser Grundstruktur ist schon getan in den Büchern des Mose. Da sagt Gott auf dem Sinai:

"Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägypten, dem Sklavenhaus, herausgeführt hat. (Ex 20,2 Jerusalemer Bibel)

Und sagt dann später im Buch Deuteronomium:

"Leben und Tod, Segen und Fluch habe ich dir vor Augen gestellt. So sollst du denn, damit du und deine Nachkommen am Leben bleiben, das Leben wählen,...“ Deuteronomium 30,19

Er geht damit von der Sklavenbefreiung aus zum Gott Jahwe als Gott des Lebens.

Spinoza übernimmt dies, indem er im Sinne Bonhoeffers eine nicht-religiöse Interpretation eines biblischen Begriffes macht. Spinoza sagt:

"Conatus esse conservandi primum et unicum virtutis est fundamentum – der Impuls sich zu erhalten, ist das erste und einzige Fundament der Tugend."

Dies eröffnet durchaus auch neue Dimensionen des ursprünglichen Textes.

Der Gott der in dieser Form den Menschen aufruft, ist eben der Gott Jahwe. Der von Platon abgeleitete Gott des Augustinus sagt so etwas nicht. Dieser ist ein Gott, der das höchste Sein ist und allenfalls Naturrechte erfindet, die aber keine subjektiven Rechte sind. Naturrechte begründen keine Tugend, sie sind Teil einer sozialen Struktur.

Dieser Gott Jahwe lädt dann die  gesamte Menschheit zu einem grossen Fest ein:

"Bereiten wird der Herr der Heerscharen allen Völkern auf diesem Berg ein

Festmahl mit fetten Speisen, ein Mahl mit alten Weinen, mit markigen, fetten

Speisen, mit alten erlesenen Weinen! Auf diesem Berg nimmt er die Hülle

weg, die auf allen Völkern liegt, und die Decke, die über allen Nationen ausgebreitet ist. Er vernichtet den Tod auf immer, Gott, der Herr, wischt ab die

Tränen von jedem Angesicht und nimmt seines Volkes Schmach hinweg von

der ganzen Erde." ( Jes 25,6–8)

Dieses Fest dauert faktisch für alle Ewigkeit, denn Jahwe vernichtet jetzt den Tod auf immer.

Dies ist einer der Ausgangspunkte der sich entwickelnden jüdischen Kultur, in der immer Gott auch ein Gott des Lebens ist..

Der Übergang zum Christentum

Dies mündet dann in eine Neuinterpretation ein, die zum Ausgangspunkt des Christentums wird. Einige zentrale Punkte formuliert Jesus und von denen dann Paulus ausgeht. Es sind insbesondere zwei: 

1.  Die Bergpredigt, die die Armen zu den Auserwählten Gottes erklärt

2.  Das Reich Gottes, von dem Jesus sagt, dass es sich mitten unter den Menschen befindet und das aufzufinden ist, um es zu verwirklichen.  Jesus sagt: " Denn, siehe das Reich Gottes ist mitten unter euch," Luk 17,21 und zieht den Schluss: " Suchet vielmehr sein Reich, und all das wird euch dreingegeben werden. "Luk Luk12,31

Dieses Reich ist von den Armen als Auserwählte Gottes aus gedacht. Es ist "mitten unter euch", aber es nicht verwirklicht. Was anwesend ist, ist seine Abwesenheit. Es handelt sich zweifellos um eine Anwesenheit, die zu einer Praxis aufruft, die es dann auch so weit wie möglich anwesend macht durch seine effektive Anwesenheit. Aber immer bleibt auch eine gewisse Abwesenheit, die schreit.

Paulus stellt dies dann in der Form eines Projekts des Handelns dar, wobei er die Worte Arme und Reich Gottes nur wenig benutzt. Auf die Armen bezieht er sich als die "Plebejer"[11]  (die Niedriggeborenen) und die Verachteten" (1 Kor 1,28)  und auf das Reich Gottes im Galaterbrief als "Es gibt nicht mehr Juden und Griechen, nicht Mann und Frau, nicht Sklaven und Freie; denn ihr alle seid 'einer' im Messias Jesus." Dies ist das Reich Gottes, aber in Form einer Gesamtschau der Menschenrechte formuliert. Was sofort merkbar ist: Paulus schliesst unter die Menschenrechte auch die Emanzipation der Frau ein. Während Jesus dieses Projekt in religiöser Sprache ausdrückt, drückt Paulus es in einer nicht-religiösen Sprache aus. Es handelt sich um die Sprache, die einem Projekt für das gesamte Imperium entspricht. Ich verstehe diesen Ausdruck "nicht-religiöse Sprache" ganz im Sinne von Dietrich Bonhoeffer

Dieses Projekt des Paulus geht allerdings über das  für die irdische menschliche Praxis Mögliche hinaus. In der hiesigen Welt bezieht es sich auf das praktisch Mögliche, das immer hinter einer perfekten Verwirklichung zurückbleibt. Paulus kündigt allerdings auch eine perfekte Verwirklichung dieses Projekts an, wenn er die Auferstehung der Toten und die damit zusammenhängende Schaffung einer Neuen Erde ankündigt, die eine Erde ist, in der die Menschen ein Leben ohne den Tod leben sollen und können. In diese neue Erde projektiert Paulus dann die vollkommene  Verwirklichung dieses gesamten Projekts. In der Formulierung dieses Gesamtprojekts ist dann der Bezugspunkt  bei ihm der Messias Christus seit seiner Auferstehung von den Toten zusammen mit seiner Botschaft, die der Glaube ist, den die Christen als ihren Glauben annehmen.

Dieses Projekt des Paulus aber kann sich nicht durchsetzen. Es führt zwar  zur Bekehrung zum Christentum tendenziell jedenfalls in der Mehrheit der Bevölkerung, aber eben nicht  zu einer Bekehrung des Imperiums als Machtapparat. Dieser Gegensatz führt dann vor allem vom dritten Jahrhundert an zu einer ganz anderen Bekehrung: es ist die Bekehrung des Christentums zum Imperium. Sie stellt die sogenannte konstantinische Wende dar, in der das Christentum zur Staatsreligion erklärt wurde und Augustinus die dazugehörige Neuformulierung des Christentums brachte.

Damit wurde die Gottesvorstellung des Christentums wesentlich verändert.  An die Stelle des jüdischen Gottes Jahwe trat jetzt eine Gottesvorstellung, die aus der   in Griechenland entwickelten Philosophie des Seins abgeleitet wurde und damit einen Gott ins Zentrum stellte, der als das höchste Sein dargestellt wurde. Dies geschah zuerst im 4. Jahrhundert mit einer platonischen Gottesvorstellung und dann im 13. Jahrhundert mit einer aristotelischen. Dadurch wurde der jüdische Befreiergott durch einen Gott ersetzt, der auf der Seite der höchsten Wertvorstellungen der sich jetzt ergebenden imperialen christlichen  Legitimation der Macht stellte. An die Stelle eines jüdischen Gottes Jahwe, der sich als Befreier aus der Sklaverei in Ägypten vorstellt, kommt jetzt eine Seinsphilosophie, in der Gott das, was ist, legitimiert. Dies bedeutete, dass jetzt selbst die Sklaverei des römischen Imperiums christlich legitimiert wurde.[12]

Der heutige Papst hat dann die Rückkehr von den  Gottesvorstellungen der Philosophie des Seins zum jüdischen Gott Jahwe ausgesprochen, indem er von Gott als dem sprach,  der

"den Menschen zu seiner vollen Verwirklichung ruft und zur Unabhängigkeit von jeder Art von Sklaverei." Evangelii Gaudium, Nr. 57

Zu dieser Problematik bemerkt Ratzinger:

„Das Christentum ist die in Jesus Christus vermittelte Synthese zwischen dem Glauben Israels und dem griechischen Geist.“ [13]

Ratzinger sagt dies im Jahre 1983 angesichts der damals entstandenen Befreiungstheologie. Er scheint bereits zu sehen, dass sich hier die Rückkehr zum Gott Jahwe vorbereitete, die er aber nicht will.

Ich möchte jetzt diese Periode der Geschichte bis zur Moderne nicht weiter analysieren. Wir haben  im Collége de Brousse diese Periode sehr ausführlich diskutiert, Es haben sich dabei einige Veröffentlichungen ergeben, an denen ich teilnehm und an die mich weitgehend anschliesse und die ich hier einfach zu dieser Periode empfehlen. Sie sind veröffentlicht in einem Buch, dass wir gemeinsam veröffentlicht haben und von dem ich gern 3 Titel hierzu hier erwähnen möchte:

Walter Bochsler Der Thermidor des Christentums. Sozialgeschichtliche Aspekte seiner frühen Entwicklung. In: Urs Eigenmann, Kuno Füssel, Franz J. Hinkelammert (Hrsg.) Der himmlische Kern des Irdischen. EDITION EXODUS, Luzern Edition ITP-Kompass, Münster

Urs Eigenmann Das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit als himmlischer Kern des Irdischen. Das Christentum als pauperozentrischer Humanismus der Praxis. In: Urs Eigenmann, Kuno Füssel, Franz J. Hinkelammert (Hrsg.) Der himmlische Kern des Irdischen. EDITION EXODUS, Luzern Edition ITP-Kompass, Münster

Kuno Füssel Die bürgerliche Gefangenschaft der Theologie. In: Urs Eigenmann, Kuno Füssel, Franz J. Hinkelammert (Hrsg.) Der himmlische Kern des Irdischen. EDITION EXODUS, Luzern Edition ITP-Kompass, Münster

IV. Die Befreiung gegenüber dem Gesetz, nicht die Befreiung vom Gesetz.

So spricht Robinson über Freiheit und Gesetz:

"Die klassische Illustration dafür, daß nämlich der Sabbat um des Menschen willen und nicht der Mensch um des Sabbats willen geschaffen ist, und dass die Barmherzigkeit Menschen gegenüber alles Gesetz überwindet, ist Jesu erstaunliche Billigung von Davids Verhalten, der die menschlichen Bedürfnisse (und sogar seine eigenen) über alle auch noch so geheiligten Bestimmungen setzte:

'Habt ihr nicht gelesen, was David tat, da ihn und die mit ihm waren,

hungerte? Wie er in das Gotteshaus ging und aß die Schaubrote, die ihm

doch nicht ziemte zu essen noch denen, die mit ihm waren, sondern allein

den Priestern?'

Das ist gewiß eine sehr gefährliche Ethik, und die Vertreter der

supranaturalistischen Gesetzlichkeit werden sich wie die Pharisäer vor ihr fürchten. Doch ich meine, sie ist die einzige Ethik für den mündigen Menschen. Der Widerstand, der ihr im Namen religiöser Prinzipien geleistet wird, wird sie nicht aufhalten können: er wird nur um so mehr dazu beitragen, dass diese Ethik eine Gestalt annimmt, die frei ist von traditioneller Christlichkeit."[14]

Das ist es: Gott gibt nicht das Gesetz auf dem Sinai. Dies Gesetz ist von Menschen entwickelt. Aber Gott bestätigt dieses Gesetz. Das was der Mensch als Gesetz entwickelt hat, ist eben gleichzeitig Gottes Wille. Dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen ist, das ist eben auch der Wille Gottes.

Gott hat nicht das jüdische Volk von der Sklaverei  in Ägypten befreit, sondern dieses Volk hat sich selbst befreit. Aber indem es das tat, erfüllte es den Willen Gottes. Der Wille Gottes ist nicht  einfach das beliebige Gottgewollte, es ist, dass der Mensch menschlich wird und sich als Mensch verwirklicht, der das höchste Wesen für den Menschen ist. Amo; Volo ut sis, (ich liebe dich: Ich will dass du Du bist) sagt Gott zum Menschen nach Duns Scotus. Dies ist die Menschwerdung Gottes. Sie macht den Weg frei für die Freiheit des Menschen. Und Gott ist ein Gott der Befreiung des Menschen von aller Sklaverei.

Daraus folgt die Befreiung gegenüber dem Gesetz, nicht  die Befreiung vom Gesetz.

Wenn Bush als Präsident erklärte, Gott selbst habe von ihm verlangt, den Krieg gegen den Irak zu führen, dann handelt es sich um eine Situation, in der Bush jetzt vor der Entscheidung stand, ob dieser Befehl von Gott  stammt oder nicht. Und da der Befehl sich gegen alle Menschlichkeit richtete, müsste er zum Ergebnis kommen, dass die Stimme nicht die Stimme Gottes gewesen sein kann. Es war die Stimme von irgendwem, wahrscheinlich seine eigene innere Stimme. Er kann nur behaupten, dass es eine göttliche Stimme ist, wenn das, was sie sagt, göttlich ist. Ob sie göttlich ist oder nicht, muss der Mensch, an den sie sich richtet entscheiden. Und das Kriterium ist, ob das, was gemäss dieser Stimme sein soll, tatsächlich der Menschlichkeit entspricht und daher verantwortetet werden kann. Dies war ja auch das Problem Abrahams. Eine Stimme Gottes befahl ihm, seinen Sohn zu opfern und daher zu töten. Abraham kam zu dem Ergebnis, dass eine Stimme, die so etwas sagt, nicht die Stimme Gottes sein kann. Folglich opferte er nicht seinen Sohn. Jesus  sagt daher: der Mensch ist nicht für den Sabbat da, sondern der Sabbat für den Menschen. Er sagt folglich: du sollst Subjekt sein in dem Sinne, dass du immer selbst entscheidest, ob das was angeordnet wird auch zu erfüllen ist. Ist es unmenschlich, dann darfst du es nicht erfüllen. Der Mensch als das höchste Wesen für den Menschen ist das, was Jesus als Kriterium erklärt.. Er erklärt damit, dass dieses zu tun, der Wille Gottes ist. Daher wurde mit Jesus Gott Mensch. Dass Gott Mensch geworden ist, ist zu allererst genau dieses: der Mensch ist das höchste Wesen für den Menschen. Daraus folgt dann nicht einfach "Liebe". Man muss auch sagen, was in dieser Situation Liebe bedeutet. Es bedeutet das was Marx seinen kategorischen Imperativ nennt, der darin besteht alle "Verhältnisse umzuwerfen, in denen der Mensch ein erniedrigtes, ein geknechtetes, ein verlassenes, ein verächtliches Wesen ist." Der jetzige Papst Franciscus hat diesen Gott dann ja auch herausgestellt:

Gott ist "unkontrollierbar, nicht manipulierbar und sogar gefährlich, da er den Menschen zu seiner vollen Verwirklichung ruft und zur Unabhängigkeit von jeder Art von Sklaverei." Papst Franciscus: Evangelii Gaudium, Nr. 57

Dies ist der Gott, der auf der Seite der Befreiung des Menschen gegenüber dem Gesetz steht und das ist der Gott Jahwe. Es ist nicht der aus der Philosophie des Seins abgeleitete Gott. Wenn irgendwo Gottes Wille ins Spiel gebracht wird,. muss immer klar sein, dass es der  Mensch selbst ist, der entscheidet, ob diese Stimme die Stimme Gottes ist. Und es muss entschieden werden von der Subjektivität des Menschen aus, der erklärt, dass der Sabbat für den Menschen ist und nicht der Mensch für den Sabbat. Daher ist auch der Mensch nicht für den Markt da, sondern der Markt für den Menschen. Dies bedeutet dann, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen ist. Auch die Bibel kann nicht bestimmen, welches Handeln dem Willen Gottes entspricht. Die letzte Instanz ist nicht Gott oder die Bibel, sondern immer der Mensch als Subjekt der Menschlichkeit. Daher kann es auch nicht irgendein Text der Bibel sein, der sagt, was der Wille Gottes ist.

Tatsächlich kehrt Franciscus hier zu bestimmten jüdischen Quellen des Christentums ganz offen zurück, ein Prozess der Rückkehr, der bereits seit Ende des 19. Jahrhunderts begonnen hatte. Damit wird Gott aufs neue der Gott Jahwe, der jetzt zur Befreiung aufruft gegenüber aller Sklaverei, die sich ja meistens durch die absolute Gesetzlichkeit gegenwärtig macht. Im Vater unser drückt es Jesus auf folgende Weise aus: Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir unsern Schuldners die Schulden erlassen haben. Das Gesetz sagt, dass die Schulden bezahlt werden müsse. Die Befreiung des Menschen als Schuldner ist,  dass ihm die Schulden erlassen werde,, wenn sie unbezahlbar werden und dann die menschliche Freiheit selbst bedrohen. Das Gesetz, dem gemäss die Schulden bezahlt werden müssen, wird nicht etwa abgeschafft. Die Schulden aber müssen erlassen werden, wenn ihre Bezahlung den Schuldner ruiniert und ihm seine Lebensmöglichkeiten und damit seine Freiheit raubt. Robinson hütet sich sehr, dieses Verhältnis zum Gesetz gegenwärtig zu machen. Damit erreicht er, sein Verhältnis zum Gesetz nicht im Sinne von Jesus oder Paulus klären zu müssen. Faktisch erwähnt er nicht einmal die Gesetzeskritik von Jesus und Paulus.

Paulus fasst diese Gesetzeskritik folfgendermassen zusammen:

"Der Stachel des Todes aber ist die Sünde, die Kraft der Sünde aber ist das Gesetz." 1 Kor 15, 56

Jesus hat die gleiche These. Er bringt sie schon im Vater unser. Vergib uns unsere Schulden, wie auch wir unseren Schuldnern die Schulden vergeben haben. Sind diese Schulden unbezahlbar, ist die Erfüllung des Gesetzes gemäss dem Schulden bezahlt werden müssen, häufig sogar der Mord am Schuldner oder sein Verkauf in die Sklaverei. Hier ist jeweils das Gesetz die Kraft der Sünde.

Dies ist das Verbrechen in Erfüllung des Gesetzes! Es gilt letztlich für alle Gesetze.

Nach einem anderen  Text (1 Kor 15, 23-28) legt Christus – der Messias – alle seine Feinde unter seine Füße. Allerdings: «Ist ihm aber alles unterworfen, dann wird auch der Sohn selbst sich dem unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat». Alles scheint ein Kampf zu sein, geprägt vom Durchsetzungswillen, und man hofft oder fürchtet am Ende, dass derselbe Gott der Herr aller sein wird. Doch stattdessen unternimmt Paulus einen ganz anderen Schritt. Nach Paulus hört Gott auf, der Herr, der Gesetzgeber, der König und die Autorität zu sein, und er wird zum Gott, der «alles in allem» ist. Aber Marx (und auch Feuerbach) hatte sich in seiner Religionskritik auf Gott als die Autorität des Gesetzgebers, den Herrn und König, konzentriert. Für Paulus ist dieser Gott ebenfalls ein Gott, der verschwindet, und im Hintergrund dieses Gottes erscheint ein anderer, der ein «Alles-in-allem»-Gott ist. Die Lösung ist dem Weg, den Spinoza sucht und den wir bereits erwähnt haben, sehr ähnlich.

Tatsächlich verabschiedet sich Paulus bereits im Brief an die Römer von der Vorstellung von Gott als einem universellen Gesetzgeber. Er schreibt:

"Wenn nämlich Völker, welche das Gesetz nicht haben, von Natur aus tun, was des Gesetzes ist, so sind diese, die das Gesetz nicht haben, sich selbst Gesetz. Sie zeigen das Werk des Gesetzes in ihre Herzen eingeschrieben, indem ihr Gewissen es mitbezeugt und ihre Klügeleien sich gegenseitig verklagen oder auch verteidigen an dem Tag, da Gott – meiner Heilsbotschaft gemäß – das Verborgene des Menschen richtet durch den Messias Jesus." (Röm 2,14–16; (Übersetzung: Fridolin Stier)

Gott als Gesetzgeber wird von Paulus in einer völlig nachgeordneten Position verstanden. Und darin folgt Paulus nur den Lehren Jesu.  Für Paulus gilt letztlich immer: "damit Gott alles in allem sei.." 1 Kor 15,28

V. Die Unabhängigkeit von jeder Sklaverei.

Ich möchte mit einem Zitat des Papstes Franciscus beginnen:

"Die Ethik wird gewöhnlich mit einer gewissen spöttischen Verachtung betrachtet. Sie wird als kontraproduktiv und zu menschlich angesehen, weil sie das Geld und die Macht relativiert. Man empfindet sie als eine Bedrohung, denn sie verurteilt die Manipulierung und die Degradierung der Person. Schließlich verweist die Ethik auf einen Gott, der eine verbindliche Antwort erwartet, die außerhalb der Kategorien des Marktes steht. Für diese, wenn sie absolut gesetzt werden, ist Gott unkontrollierbar, nicht manipulierbar und sogar gefährlich, da er den Menschen zu seiner vollen Verwirklichung ruft und zur Unabhängigkeit von jeder Art von Sklaverei[15]" (Evangelii Gaudium, Nr. 57)

Der Gott, den Franziskus vorstellt, gibt keine Gebote und befreit niemanden, sondern ruft alle auf, sich und alle von allen Sklavereien zu befreien. Gott befreit nicht Sklaven, sondern ruft alle auf, sich von der Sklaverei zu befreien und sich in diesem Prozess selbst zu verwirklichen. Es ist sichtbar, das dieser Gott des Franziskus ein Gott ist, der Mensch geworden ist. Gott begleitet die Menschen, aber er begleitet sie in einem Prozess, in dem diese sich selbst befreien. Er ist kein Gott, der sich direkt der Sklaverei entgegenstellt, sondern ist ein Gott, der den Menschen aufruft, sich diesen Sklavereien entgegenzustellen. Es handelt sich darum, den Menschen von den Sklavereien zu befreien und es handelt sich für die Menschen selbst darum, sich auch den Sklavereien entgegenzustellen, die andere erleiden. Es ist das "Ich bin, wenn du bist" Aber es ist gleichzeitig ein Ruf, der sich an die Herren der Sklaven richtet, ihre Sklaven zu befreien, denn, indem sie dies tun, befreien sie sich selbst ebenfalls von der Sklaverei. Dabei wird heute wieder sehr sichtbar, dass die ehemaligen Sklavenbesitzer sich immer noch nicht von ihrer Sklaverei befreit haben. Sie glauben, dass durch die Befreiung der Sklaven ihre Rechte verletzt wurden. (Jedenfalls eine Enteignung von Kapital ohne Entschädigung! und eine wie immer Illegitime Intervention in den Markt. Dies bleibt auch noch heute sehr häufig das Denken in den Südstaaten der USA)

Gehen wir von diesem "Ich bin wenn du bist" aus, so werden hier bei Franziskus weitgehend alle scheinbaren Gründe und alle Gier des Menschen als Sklaverei aufgefasst,  der gegenüber der Mensch sich unabhängig machen muss, um frei zu sein.

Franziskus will die Selbstverwirklichung des Menschen dadurch, dass diese sich allen Formen der Sklaverei gegenüber unabhängig machen. Im Gesamtzusammenhang der Selbst-Verwirklichung bedeutet die Befreiung von der Sklaverei gleichzeitig die Befreiung des Sklavenhalters. Er kann sich selbst befreien indem er seinen Sklaven die Freiheit gibt und diese Freiheit dann auch als eigene Freiheit erkennt und behandelt . Es handelt sich um einen Gott, der die Befreiung auch durch Interventionen in den Markt gegenwärtig macht., sodass die Intervention selbst ebenfalls ein Akt der Befreiung sein kann. Es handelt sich um das "Ich bin, wenn du bist" als befreiende Rationalität. 

Die gegenwärtige Globalisierungsstrategie mit ihrer Irrationalität des Rationalen entwickelt sich in den siebziger Jahren des vergangenen Jahrhunderts und übernimmt die Regierungsmacht mit der Regierung Reagans seit dem Jahre 1980.  Ihre Irrationalität erscheint kurz vorher mit einem Vorfall im Jahre 1978, nämlich mit dem grossen Mord-Selbstmord in den Guayanas. Es handelt sich um einen gigantischen Mord-Selbstmord von mehr als 900 Personen, unter denen sich 300 Kinder befanden. Es geht um einen Massenmord, der sich in einen Mord-Selbstmord verwandelt dadurch, dass sich die Mörder zum Schluss allesamt selbst ermorden. Es handelt sich um den Mord-Selbstmord einer religiösen Sekte aus den USA, die sich an einem Ort der Guayanas eingerichtet hatten und die dann einmündeten in diesen gigantischen Mord-Selbstmord.

In der "Iphigenie in Aulis" von Eurípides sagt Iphigenie, nachdem sie erfuhr. dass ihr Leben geopfert werden sollte, um Troja zu erobern:

"Den Hellenen sei der Fremdling untertan, doch, Mutter, nie fröne Hella's Volk den Fremden; Sklaven (Knechte) sind sie, Freie wir.  (Auch hier muss es heissen: Sklaven sind sie, Freie wir und nicht Knechte)." [16] Dies ist  Teil der Sklaverei, auf die sich Franziskus bezieht.

Dies ist die Rationalität des Wettbewerbs. Sie war es schon in Griechenland, und sie bleibt es heute. Es ist die Rationalität des „Ich bin, wenn ich dich unterwerfe.“ Diese Rationalität des Wettbewerbs ist immer einseitig. Nie können alle wettbewerbsfähig sein. Es ist wie im Fussball: nur einer kann gewinnen. Folglich werden diejenigen, die nicht wettbewerbsfähig sind, zu Sklaven derer, die es sind. So haben wir es ja jetzt in den letzten Jahren mit Griechenland erlebt: Freie sind wir, Sklaven sie. Das ist ganz so wie bei Euripides. Der Beweis, dass jemand frei ist, ist, dass er Sklaven hat. Die Marktrationalität ist genau dieser Art. Dies aber ist genau auch das, was wir heute überhaupt Rationalität nennen. Weber gab dieser Rationalität den Namen: Zweck-Mittel-Rationalität. Und hier

ergibt sich die andere Seite der Sklaverei, nämlich der Herr der Sklaven, dessen Sklaverei seine eigene Gier ist.

Diese Rationalität menschlichen Kriterien zu unterwerfen, das ist heute das Problem der Alternative zum immer brutaler und totaler werdenden Kapitalismus. Dieses notwendige Kriterium wird heute immer mehr das folgende, dessen Formulierung aus Südafrika gerade auch in Lateinamerika bekannt wurde und aus der afrikanischen humanistischen Tradition des Ubuntu stammt: Ich bin, wenn Du bist. Es handelt sich um die afrikanische Tradition der bantú. Dies ist das Gegenteil dessen, was Euripides sagt: Ich bin, wenn ich dich unterwerfe. Es sagt daher auch: Der Beweis meiner Freiheit ist die Tatsache, dass ich Sklaven und Knechte habe. Das aber ist genau auch das, was uns täglich unsere Neoliberalen sagen. Das Ubuntu sagt dazu: Ich bin, wenn du bist. Ich bin frei, wenn du frei bist. Wenn du Sklaven hast, sind nicht nur die Sklaven unfrei. Unfrei bist auch du. Die Selbstverwirklichung besteht darin, was dieses Ubuntu sagt: Ich bin, wenn du bist. Ich bin frei gerade dadurch, keine Sklaven zu haben. Das ist nicht die Selbstverwirklichung Nietzsches. Diese ist die gleiche wie die des Euripides. Unsere herrschende Kultur kann sich nicht einmal vorstellen, was dies bedeutet.

Das Gegenteil zeigt das Kriterium, das René Girard ganz zu recht mit Hilfe seines Konzepts der Mimesis kritisiert. Er sagt:

"Ich muss hier ein talmudisches Prinzip erwähnen das  sehr häufig von den Exegeten mit jüdischer Inspiration wie Emmanuel Lévinas oder André Neher zitiert wird und das sie als "gut bekannt" hinstellen. Gemäss dieses Prinzips, jeder Angeklagte, der dazu kommt, gegen sich die Einstimmigkeit aller Richter zu finden, muss unmittelbar befreit werden. Die Einstimmigkeit der Anklage ist als solche verdächtig. Sie führt zur Vermutung der Unschuld des Angeklagten!"  Girard, René: El misterio de nuestro mundo. Claves para una interpretación antropológica. Diálogos con J.M.Oughouruan y G. Lefort.  Sigueme. Salamanca 1982. p. 482  (Übersetzung F.J.H.)  

Wenn ein US-Präsident etwas ähnliches macht wie es jetzt Putin tut,  wird er niemals in ein Monster verwandelt. Dies war z.B. sehr offensichtlich  als Bush den Irakkrieg machte.  Die ganze Rechtfertigung dieses Krieges war ein grosser Betrug und alle wussten es. Aber ein Monster nannte man ihn nicht. Handelt es sich aber nicht um einen US-Präsidenten, sondern etwa um einen Präsidenten Russlands, so ist er kein Mensch mehr, sondern ein zu vernichtendes Monster. Daher wird alles Böse auf dieser Welt auf ihn konzentriert, er ist ein Ungeheuer und Kriegsverbrecher, sogar ein Dieb und auch Strassenmörder. Alle Bosheit wird auf ihn konzentriert. Gibt es dann aber jemanden, der solche  Beleidigungen ablehnt,  nicht teilt, so traut er sich nicht zu sprechen, andernfalls wird er selbst als Verbrecher dargestellt und schliesslich auch behandelt.

Es wird ein Monster produziert, das keine Menschlichkeit mehr hat und dem gegenüber wir keine Menschenrechte  anwenden dürfen. Dies geschieht zur Zeit mit Putin, dem  russischen Präsidenten. Nirgendwo, wo Putin zitiert wird, ist  er ein Mensch. Er ist ein Monster. Unsere gesamte öffentliche Meinung im Sinne unserer veröffentlichten Meinung stellt ihn als Monster dar,  ohne ihn als Menschen zu sehen. Er ist ein Monster, und in Bezug auf ihn gibt es keine Menschenrechte. Da die Einstimmigkeit der Anklage nicht als verdächtig gilt, hat diese Art von Anklage effektiv mit irgendwelchen Verbrechen nichts zu tun. Eine ganze Bevölkerung wird zum Sklaven der Lüge gemacht. Dies ist gleichzeitig eine der Formen, in denen sich die Mimesis von Girard ausdrückt.

        "Lo mismo plantean los pueblos originarios del continente, en el caso de los andinos con el concepto de Suma Qamaña (aymara) o Allin Kawsay (Sumak kawsay) (kichwa/quechua) que es una sabiduría de vida y de relacionamiento entre seres humanos y la Pachamama. Tiene pretensión de universalidad y podría ser fundamento de un paradigma otro, incluso, de una nueva espiritualidad, pero fundada en la tierra y las condiciones materiales."  [17]

Es handelt sich um eine Vorstellung menschlicher Menschlichkeit, wie sie natürlich nicht nur in der Tradition des Ubuntu vorliegt. Im Grunde ist sie in allen Formen, die Menschlichkeit zu denken, gegenwärtig. Daher begegnet sie uns auch in Marx, wenn er sagt:

“Wir haben gesehn, wie unter Voraussetzung des positiv aufgehobnen Privateigentums der Mensch den Menschen produziert, sich selbst und den andern Menschen; wie der Gegenstand, welcher die unmittelbarer Bestätigung seiner Individualität, zugleich sein eignes Dasein für den andern Menschen, dessen Dasein, und dessen Dasein für ihn ist. Ebenso sind aber sowohl das Material der Arbeit, als der Mensch als Subjekt, wie Resultat so Ausgangspunkt der Bewegung...” [18]

Hier ist es: der Mensch produziert „sein eignes Dasein für den andern Menschen, dessen Dasein, und dessen Dasein für ihn ist“. Es ist eine andere Form zu sagen: Ich bin, wenn du bist.

Wenn wir hier vom Humanismus der Praxis sprechen, soll eben gleichzeitig gesagt werden, dass es sich für uns nicht einfach um einen Humanismus des Gefühls handelt. Folglich sprechen wir von Praxis. In diesem Sinne aber ist Praxis eine Rationalität, ein Anspruch der Vernunft. Gegenüber die Irrationalität der Rationalität des Marktkalküls muss eine Rationalität gefordert werden, die dieser Irrationalität entgegenritt. Diese Irrationalität der Marktrationalität muss begegnet werden, wenn wir der zwingenden Tendenz zum kollektiven Selbstmord der Menschheit, die uns vom herrschenden Neoliberalismus aufgezwungen wird, entkommen wollen.

Die Rationalität, die der Humanismus der Praxis dem entgegnen muss, entwickelt Marx im Kommunistischen Manifest folgendermassen:

“An die Stelle der alten bürgerlichen Gesellschaft mit ihren Klassen und Klassengegensätzen tritt eine Assoziation, worin die freie Entwicklung eines jeden die freie Entwicklung aller ist."

Aber diese Vorstellung hat eine lange Geschichte. Der afrikanische Humanismo Ubuntu drückt sie auf folgende Weise aus: Ich bin, wenn du bist.  Desmond Tutu, der südafrikanische Bischof,  benutzte diese Formulierung im Konflikt zur Apartheid in Südafrika. Levinas zeigte dann, dass diese Vorstellung ebenfalls der jüdisch-christlichen Tradition der Nächstenliebe unterliegt. Er schreibt:

"Was bedeutet 'wie dich selbst'? Buber und Rosenzweig kamen hier mit der Übersetzung in größte Schwierigkeiten. Sie haben gesagt: 'wie dich selbst', bedeutet das nicht, daß man am meisten sich selbst liebt? Abweichend von der von Ihnen erwähnten Übersetzung, haben sie übersetzt: 'liebe deinen Nächsten, er ist wie du". Doch wenn man schon dafür ist, das letzte Wort des hebräischen Verses, 'kamokha', vom Beginn des Verses zu trennen, dann kann man das Ganze auch noch anders lesen: 'Liebe deinen Nächsten; dieses Werk ist wie du selbst'; 'liebe deinen Nächsten; das bist du selbst'; 'diese Liebe des Nächsten ist es, die du selbst bist'."[19]

Was wir sehen müssen, ist, dass es sich um die Formulierung einer humanistischen Rationalität handelt, die im Konflikt steht mit der Rationalität des Marktes, in der es heisst: Ich bin, wenn ich dich besiege und dich unterwerfe. Was der darauf antwortende Humanismus der Praxis fordert, ist, dass in unserem menschlichen Handeln dieses „Ich bin, wenn du bist“ endlich als Formulierung einer Rationalität de sozialen menschlichen Handelns erkannt wird, das Priorität haben muss gegenüber der unmenschlichen Rationalität des Marktkalküls und des dadurch legitimierten Handelns.

Ich finde, dass wir tatsächlich als Linke ein großes Problem haben. Auf der einen Seite sagen wir mit Walter Benjamin und Marx und Rosa Luxemburg, dass der Kapitalismus eine Religion ist. Auf der andern Seite aber kritisieren wir im allgemeinen den Kapitalismus so als wäre er gar keine Religion. In dem was ich jetzt zu entwickeln suche, habe ich versucht, darauf ein bisschen einzugehen. Ich bin fest überzeugt, dass die Linke nie wieder Bedeutung gewinnen kann, wenn sie die Kapitalismuskritik nicht auch als Religionskritik entwickelt. Ich glaube ebenso, dass Corbyn und Sanders auf diesem Weg waren.

Wie es der  jetzige Papst Franciscus sagt:

"Die Gier nach Macht und Besitz kennt keine Grenzen. In diesem System, das dazu neigt, alles aufzusaugen, um den Nutzen zu steigern, ist alles Schwache wie die Umwelt wehrlos gegenüber den Interessen des vergöttlichten Marktes, die zur absoluten Regel werden." (Nr. 56)

In diesem Götzendienst wird die Macht vergöttlicht und dies wird zur absoluten Regel. Alles Menschliche, auch die Natur ist ihr wehrlos ausgeliefert. Man beraubt den Menschen seiner Würde und liefert ihn den Mechanismen aus, die ihn ausbeuten und demütigen. Das führt wiederum dazu, dass diese Mechanismen göttlichen Rang gewinnen und der Vorrang des Menschen ruiniert wird. In der Nr. 56 spricht der Papst Franziskus sogar von einer "unsichtbaren Tyrannei", die aus der Wirtschaftsdiktatur ohne Gesicht hervorgeht.

"Die Götzen, die den Menschen versklaven, müssen den Primat des Menschen wieder ins Recht setzen, dann erst werden sie keine Götzen mehr sein". Das stellt Franziskus kategorisch fest.  S.23/24

Eine der wenigen Forschungen hierzu die ich kenne ist von Sahra Wagenknecht: Reichtum ohne Gier. Wie wir uns vor dem Kapitalismus retten. (Campus Verlag, Frankfurt 2016), vor allem das Kapitel “Eigentum neu denken." (S.241) Hier wird die Unterwerfung unter die Gier nach Gewinnen beschrieben. Eine andere Seite  ist die Unterwerfung unter den Konsumismus zu erwähnen, die häufig total wird, sodass sie einer Sklaverei ähnelt. oder sogar gleich wird. Aber es gibt eine andere Parallele. Es handelt sich um die Analyse der Mimesis, wie sie René Girard gemacht hat.

Aber immer handelt es sich hierbei um das, was ich von Iphigenie zitiert habe: "Sklaven sind sie, Freie wir". Dies gilt von jedem Standpunkt der Gier aus:  Die, die diese Gier nicht entwickeln, weil sie es nicht können oder nicht wollen, werden als die Sklaven derer, die die Träger dieser Gier sind, gesehen. Dies sagt schon die Iphigenie von Euripides. Aber es ist auch, was der Papst sagt, wenn er von der Unabhängigkeit von jeder Sklaverei spricht. Es handelt sich um die Freiheit der Sklaven, aber gleichzeitig auch die Befreiung der Gierigen von ihrer respektiven Sklaverei. die sich als Gier gegenwärtig macht..

Feminicidios

Es ergibt sich eine ganz ähnliche Struktur der Sklaverei für den feminismus-antifeminismus. Findet man keinen Ausweg, geht es um den Mord/Selbstmord. Es ist jetzt der Mann, der auf der Abhängigkeit der Frau besteht. Kann er sie nicht durchsetzen, entsteht die Verzweiflung und kann dann leicht in den Mord/Selbstmord einmünden.

Ich fand hierzu folgende Ziffern aus Costa Rica. In dem Jahrzehnt von 2004 bis 2014 gab es 316 Frauenmorde: "...in dem untersuchten Jahrzehnt, beging 18 %  der Frauenmörder Selbstmord." Dies heisst, dass 18 Prozent der Frauenmorde  Mord-Selbstmorde sind. Dies sind etwa 6 pro Jahr.

Costa Rica ist ein Land mit etwa 4 Millionen Einwohnern.

https://especiales.ameliarueda.com//feminicidios/

VI. Das Fenster der Unmöglichkeiten.

Es gibt ein Fenster in Richtung Unmöglichkeiten. Das Fenster, durch das man die Unmöglichkeiten sieht. Die transzendentalen Begriffe als solche Fenster, die darauf hinweisen, dass über ihre Grenzen hinaus für den Menschen nichts möglich ist. Schaufenster escaparate. Was man sieht, sind nicht Möglichkeiten, sondern Unmöglichkeiten. Aber indem wir die Unmöglichkeiten ausschliessen, entdecken wir das Mögliche unseres Handelns. Durch die Konzeption des Unmöglichen erreichen wir es, den Raum des Möglichen zu entdecken. Und dieses Mögliche, das wir dabei entdecken, ist das Mögliche, an dem sich alle empirische Wissenschaft und Technik orientiert. Aber alles dies zeigt gleichzeitig, dass die Konzeptualisierung des Unmöglichen uns erlaubt, über den Raum der empirischen Erfahrungswissenschaften zu denken.

Aber dieses Unmögliche ist nicht das "noch nicht" Mögliche. Es ist das Unmögliche im Sinne der conditio humana. So ist das perpetuum movile unmöglich im Sinne einer conditio humana. Aber ebenso das Unmögrliche im Sinne einer vollständigen Faktenkenntnis.

Im Rahmen dieser Unmöglichkeiten entstehen dann Theologien. Denn wenn der Mensch hier jenseits des Möglichen nur auf Unmöglichkeiten trifft, kann er nur eine Möglichkeit, das Fenster  zu öffnen und daraus eine Tür zu machen und damit dies Unmögliche möglich zu machen, indem er  eine Macht, die man dann Gott nennt, vorstellt, die die Macht dazu hat, dies gesamte Unmögliche möglich zu machen. Dies ergibt eine Form, Religion zu verwirklichen und Theologie zu machen. Diese Theologie geht nicht von irgendeiner Gottesvorstellung aus, sondern führt dahin. Der Ausgangspunkt sind diese Fenster  des Unmöglichen, das die empirischen Wissenschaften hervorbringen, die nur durch die Annahme eines Gottes als möglich gedacht werden können. Es entstehen allerdings ständig auch Vorstellungen in dem Sinne, dass wir etwa durch die Vorstellung eines unendlich langen menschlichen Fortschritts einen solchen Übergang als möglich hinstellen können im Sinne des sogenannten Transhumanismus. Auch diese Argumentation ist "theologisch", obwohl wir sie eher "theologisch-ideologisch" nennen sollten.

Wenn Freud von dieser Art Religion spricht, geht er davon aus, dass diese auf unendlichen Illusionen beruht. Aber wovon immer die Religion ausgeht, ist die Bestimmung des Möglichen als Basis alle menschlichen Handelns. Was für dieses Handeln unmöglich ist,  ist dann dasjenige, von dem die Religion ausgeht und dann sucht, wie denn dieses Unmögliche möglich gemacht werden kann. Es handelt sich ganz offensichtlich um einen Handlungszusammenhang. Das Handeln der instrumentalen Art muss immer gleichzeitig mit den Zielen des produktiven Handelns aller Art gleichzeitig die Unmöglichkeiten dieses Handelns hervorbringen und aufzeigen. Eins geht überhaupt nicht ohne das Andere. Der Raum des Unmöglichen  begleitet uns immer, und immer ergeben sich Fenster, durch die man dies Unmögliche ersehen kann. Dies ist dann immer der objektiv gegebene Raum vieler theologischer Anstrengungen. Es handelt sich nicht, wie Freud meint, einfach um Illusionen, wenn es auch immer illusionäre Bereiche sind, die dabei entstehen. Alles ist auf bestimmte Weise Teil der empirischen Wissenschaft, sei es die empirische Wissenschaft selbst oder seien es  die Gedanken, die häufig theologisch gedacht werde.  Da ist nicht auf der einen Seite die empirische Wissenschaft und auf der andern Seite ein Denken, das wir eher für mythisch einschätzen und von diesen empirischen Wissenschaften absolut getrennt wird. Beide formen Teil einer Gesamtwissenschaft, die beide Seiten umfasst und in der ein Teil gleichzeitig den anderen hervorbringt. Das was die empirische Wissenschaft als das unwissenschaftliche Jenseits des Wissenschaftlichen herausstellt, steht dann immer unter der Forderung zu erklären, welches die theoretisch formulierten Bedingungen sind, um das Unmögliche möglich zu machen. Letzteres ist eine wissenschaftliche Tätigkeit, die für diese Wissenschaften absolut notwendig ist. Sie ist nämlich nötig, um die Unmöglichkeit des Unmöglichen zu argumentieren. Diese Argumentation brauchen die empirischen Wissenschaften. (z. B  das Gesetz der Erhaltung der Energie und die Unmöglichkeit des perpetuum movile. Diese Unmöglichkeit umschreibt den gesamten Möglichkeitsraum der klassischen Physik)

Diese Argumentationen der empirischen Wissenschaft führen dann mit grosser Logik zur theologischen Diskussion über die Möglichkeit dieses Unmöglichen. Man greift auf einen Gott zurück, der diese Unmöglichkeit möglich macht: so etwa die Möglichkeit des unmöglichen perpetum movile, wie sie etwa in der jüdischen Bibel auftaucht, wenn Mose auf dem Berg Sinai Gott trifft, der aus einem perpetuum movile zu ihm spricht: aus dem brennenden Dornbusch, der brennt, ohne zu verbrennen. Das ist ein verwirklichtes perpetuum movile. In allen Vorstellungen der empirischen Wissenschaften tauchen dieser Art Möglichkeiten des Unmöglichen auf, obwohl immer in der Form ihrer Unmöglichkeit und daher als transzendentaler Begriff. Aber faktisch ist dies ständig gleichzeitig die Einladung zu einer Diskussion der jenseits dieser empirischen Wissenschaften denkbaren Möglichkeit dieser Unmöglichkeiten. In den Sozialwissenschaften geschieht dies mit der ständigen Voraussetzung der Verwirklichung transzendentaler Unmöglichkeiten durch die Annahme einer faktischen Allwissenheit von Seiten derjenigen menschlichen Marktteilnehmer, die solche Unmöglichkeiten  - etwa im Fall des vollkommenen Wettbewerbs in den Wirtschaftswissenschaften - möglich machen können.

Ich kann immer nur allen, die dies nicht glauben, raten, im Computer unter dem Titel "vollkommener Wettbewerb" hiernach zu suchen. Immer werden sie finden, dass die empirischen Wissenschaften des Marktes ein Modell bauen, in dem sie annehmen, dass alle Marktteilnehmer absolutes Wissen haben. Und dieses Denken ist Teil der empirischen Wissenschaft! Dann kann man doch den Theologen nicht übel nehmen, wenn sie das auch tuen! Übrigens macht auch Habermas etwas ähnliches, wenn er von der Konstituierung einer «konkreten Rechtsordnung in ihren Grundelementen» spricht.[20] Da taucht ein Richter auf, der ebenfalls alles weiss, und dem er den Namen "Richter Herkules" gibt. Auch dies ist empirische Wissenschaft! Aber Habermas denkt an ein nachmetaphysisches Denken. Aber in Wirklichkeit ist sein "Richter Herkules"  einfach nur die dem modernen empirischen Denken korrespondierende Metaphysik, die aber anders ist als die vorhergehende Metaphysik, die von der Philosophie des Seins her gedacht wird. Alles Denken über die Wirklichkeit impliziert immer auch ein metaphysisches Denken, auch wenn die Wissenschaftler es nicht wollen und lieber woanders hin sehen. In den empirischen Wissenschaften werden ständig Welten vorgestellt, in denen die Menschen ein absolutes Wissen haben und daher allwissend sind. Aber wer allwissend ist, ist notwendigerweise unsterblich, da die Allwissenheit eine nicht-kontingente Welt beinhaltet. Auch die empirischen Wissenschaften müssen ein Leben ohne den Tod denken, nicht nur die Theologie.  Warum diese Art Wissenschaft sich positivistisch nennt und gibt, ist schlechterdings nicht einsehbar. In Wirklichkeit  bewegt sich die Theologie auf dem gleichen wissenschaftlichen Niveau wie die des empirischen wissenschaftlichen Denkens. Aber das empirische Denken fühlt sich auf einem viel höheren Niveau als das theologische Denken. In Wirklichkeit steht das empirische wissenschaftliche Denken auf dem gleichen wissenschaftlichen Niveau wie das theologische. Beide konstituieren notwendigerweise zusammen die Gesamtwissenschaft. Daher gehen beide aus vom Begriff eines Lebens ohne den Tod.

VII. Bonhoeffer und die Transzendenz Gottes.

Die falsche Transzendenz Gottes:

So sagt Bonhoeffer:

"An den Grenzen scheint es mir besser, zu schweigen und das Unlösbare  ungelöst zu lassen. Das 'Jenseits" Gottes ist nicht das Jenseits unseres Erkenntnisvermögens! Die erkenntnistheoretische Transzendenz hat mit der Transzendenz Gottes nichts zu tun. Gott ist mitten in unserm Leben jenseitig. Die Kirche steht nicht dort, wo das menschliche Vermögen versagt, an den Grenzen, sondern mitten im Dorf."[21]

Er befindet sich jenseits von allem, was Sein hat. Ich gehe von folgenden Sätzen dieses Zitats aus:

"Das 'Jenseits" Gottes ist nicht das Jenseits unseres Erkenntnisvermögens! Die erkenntnistheoretische Transzendenz hat mit der Transzendenz Gottes nichts zu tun. Gott ist mitten in unserm Leben jenseitig."

Ich möchte aber einige Beispiele geben für diese erkenntnistheoretische Transzendenz, die nicht verwechselt werden darf mit der Transzendenz Gottes. Es handelt sich um das, was wir auch transzendentale Begriffe nennen können. Hier ergeben sich solche Konzepte wie zum Beispiel der vollkommene Wettbewerb, von dem es dann heisst, dass er vollkommen sein würde wenn alle Marktteilnehmer eine absolute Faktenkenntnis haben. Dies impliziert sogar, dass es keinen Tod gibt. Die Wirklichkeit wird dann gedacht als eine Wirklichkeit ohne Kontingenz. Es ist ein transzendentaler Begriff, der, wenn er verwirklicht gedacht wird, eben ein transzendenter Begriff ist. Es ist ein Jenseits unseres Erkenntnisvermögens, das in den Theorien der empirischen Erfahrungswissenschaft in vielen Formen ständig auftaucht.

Diese Begriffe sind transzendentaler Art, haben aber mit dem Jenseits Gottes nichts zu tun.  Werden sie allerdings als empirisches Ziel herausgestellt, ergibt sich das, was wir eine transzendentale Illusion nennen können. Solche Illusionen können im tatsächlichen Lebens völlig verheerend sein. Dies gilt etwa, wenn ausgehend von dem Begriff des vollkommenen Wettbewerbs auf eine wirkliche Annäherung an dieses Ziel gesetzt wird, die völlig illusorisch ist.

Diese Konstruktionen sind jedoch zugleich sehr nützlich, um den religiösen Charakter des Kapitalismus zu entfalten. Das gelingt den Wirtschaftswissenschaftlern, indem sie die unendliche Distanz zwischen unserer Realität und den von ihnen konstruierten transzendentalen und in der gegebenen Form metaphysischen Konzepten verschleiern. Normalerweise betreiben sie diese Verschleierung, indem sie auf das mathematische Instrument der asymptotischen Annäherung zurückgreifen. Diese Krücke verhilft ihnen dazu, ihre Konstruktionen als relativ realisierbar darzustellen, das heißt als linear und quantitativ annähernd erreichbare Ziele. Man will sich also dem Unendlichen mit endlichen Schritten immer mehr annähern. Das widerspricht jeder Logik. Hegel hatte das Problem bereits erkannt und als "schlechte Unendlichkeit" bezeichnet.

Das Ergebnis ist z.B  die theologisch-ideologisch Behauptung. dass es einen Marktautomatismus gibt, der automatisch das Marktgleichgewicht  verwirklicht, und den schon Adam Smith als "unsichtbare Hand des Marktes" bezeichnete. Diese scheinbar theoretische Behauptung wird heute noch fast genauso vertreten, wie sie schon Adam Smith vertrat und sie wird benutzt um so weit wie möglich die wirtschaftlich und sozialen Katastrophen  zu legitimieren, die der Kapitalismus in seiner Geschichte produziert hat.

Die Begründung des sowjetischen Sozialismus  hat ein ganz ähnliches Beispiel einer transzendentalen Illusion zu verwirklichen versucht, das durchaus ähnliche Katastrophen  produziert hat. Er hat dies getan, indem er die marxsche Vorstellung des Kommunismus, wie sie Marx im Jahre 1844 entwickelt hat, ebenfalls zum empirischen Ziel erklärte. Auch dieser Kommunismusbegriff ist ein transzendentaler Begriff, dem eine für menschliches Handeln nicht zu verwirklichende Zielvorstellung zugesprochen wurde. Dies hatte dann ebenfalls äusserst negative Folgen.

Bonhoeffer:  Gott ist mitten in unserem Leben jenseitig

Nach der Kritik an diesen transzendentalen Illusionen kann dann Bonhoeffer sagen: " Die erkenntnistheoretische Transzendenz hat mit der Transzendenz Gottes nichts zu tun. Gott ist mitten in unserm Leben jenseitig."

Wir müssen uns also fragen, wie  Gott "mitten in unserm Leben jenseitig" sein kann. Für Bonhoeffer handelt es sich um einen besonders wichtigen Schritt. Er sagt daher: "unser Verhältnis zu Gott ist ein neues Leben im 'Dasein für-andere', in der Teilnahme am Dasein Jesu." (Bonhoeffer, Widerstand ... S. 204)

Es geht ihm um ein neues Leben. Ich werde dieses Zitat in einen etwas weiteren Zusammenhang stellen:

"Unser Verhältnis zu Gott ist kein 'religiöses' zu einem denkbar höchsten, mächtigsten, besten Wesen - dies ist keine echte Transzendenz -, sondern unser Verhältnis zu Gott ist ein neues Leben im 'Dasein für-andere', in der Teilnahme am Dasein Jesu. Nicht die unendlichen, unerreichbaren Aufgaben, sondern der jeweils gegebene erreichbare Nächste ist das Transzendente. Gott in Menschengestalt! nicht wie bei orientalischen Religionen in Tiergestalten als das Ungeheure, Chaotische, Ferne, Schauerliche; aber auch nicht in den Begriffsgestalten des Absoluten, Metaphysischen, Unendlichen etc.: aber auch nicht die griechische  Gott-Menschengestalt des 'Menschen an sich', sondern 'der Mensch für andere'! darum der Gekreuzigte. Der aus dem Transzendenten lebende Mensch."(Bonhoeffer, Widerstand ... S. 204)

Er besteht darauf, dass dies ein Verhältnis zu Gott begründet, aber er besteht ebenso darauf, dass dieses Verhältnis kein "religiöses" ist: "Unser Verhältnis zu Gott ist kein 'religiöses' zu einem denkbar höchsten, mächtigsten, besten Wesen - dies ist keine echte Transzendenz -" Als solches ist es eben das Verhältnis zu Gott", das ein "neues Leben im 'Dasein für andere' ist. Als solches ist es "Teilnahme am Dasein  Jesu". Dies ist gleichzeitig das "Verhältnis zu Gott". Dieser Gott aber ist für Bonhoeffer der Gott der Bibel und der Mensch wird zu "dem aus dem Transzendenten lebende Mensch".

Hier wird dann sichtbar, dass Bonhoeffer den biblischen Gott in der Teilnahme am Dasein Jesu findet. Und dieser biblische Gott ist eben nicht der Gott als einem  "denkbar höchsten, mächtigsten, besten Wesen". Es ist nicht der Gott des Augustinus oder des Thomas von Aquin, der aus der Philosophie des Seins abgeleitet worden ist,. sondern ist der Gott der Bibel, der der Gott Jahve ist, wie Jesus ihn gegenwärtig machte. Und er sieht diesen Jesus vor allem als den Gekreuzigten.

Ich glaube, dass sich hier ein ganz grosser Unterschied ergibt zwischen dem, was Bonhoeffer sagt und dem was Robinson in ihn hereininterpretiert.

"Was Tillich unter Gott versteht, ist genau das Gegenteil von einem deus ex machina, einem übernatürlichen Wesen, dem man sich zuwenden kann, weg von der Welt, und mit dessen Eingreifen von außen man rechnen kann. Gott ist nicht außerhalb der Welt. Er ist - um mit Bonhoeffer zu reden - 'mitten in unserem Leben jenseitig' eine Tiefe der Wirklichkeit, die 'nicht an den Grenzen' des Lebens zu finden ist, sondern 'in der Mitte', die nicht der Einsame erreicht, der Zuflucht bei dem 'Einsamen' sucht, sondern die einem - um mit Kierkegaard zu sprechen - durch ein 'tieferes Eintauchen in die Existenz' zuteil wird. Denn das Wort 'Gott' bezeichnet die letzte Tiefe all unseres Seins, den schöpferischen Grund und den Sinn unserer ganzen Existenz. "[22]

Bonhoeffer geht aus von Tillich, der gegen den Gott spricht, der zu überwinden ist. Es ist der Gott  als deus ex machina,  einem übernatürlichen Wesen, dem man sich zuwenden kann, weg von der Welt mit dem Ergebnis dass Gott nicht ausserhalb der Welt ist. Dies ist etwa dasselbe, was Bonhoeffer über den philosophischen Gott (des christlichen Mittelalters) gesagt hat und das ich zitiert habe. Aber dann  zitiert Robinson den Satz von Bonhoeffer, den ich ebenfalls zitiert habe  vom Gott, der "mitten in unserem Leben jenseitig" ist. Dieser Gott ist jetzt ganz anders als der von Bonhoeffer. Robinson spricht jetzt von dem was uns  " - um mit Kierkegaard zu sprechen - durch ein 'tieferes Eintauchen in die Existenz' zuteil wird. Denn das Wort 'Gott' bezeichnet die letzte Tiefe all unseres Seins, den schöpferischen Grund und den Sinn unserer ganzen Existenz."

Das ist gerade nicht das, was Bonhoeffer sagt. Bonhoeffer findet hier gerade dass "unser Verhältnis zu Gott ist ein neues Leben im 'Dasein für-andere', in der Teilnahme am Dasein Jesu." Robinson spricht stattdessen ganz allgemein über die Liebe und er spricht "um mit Kierkegard zu sprechen".  Erspricht daher nicht darüber, was bei Bonhoeffer die Folge ist davon, dass Gott "mitten in unserem Leben jenseitig" ist.

"Wer sagt, .,Gott ist Liebe", der glaubt, dass durch die Liebe der Mensch mit der tiefsten Wirklichkeit, die es überhaupt gibt, in Berührung kommt, ja daß das Sein selbst letztlich Liebe ist. Das heißt mit Martin Buber: »Jedes geeinzelte Du ist ein Durchblick zum Ewigen Du" und "im Zwischenmenschlichen" treffen wir Gott. Es heißt nicht, wie Feuerbach meinte, "dass der Mensch mit dem Menschen - die Einheit von Ich und Du - Gott selbst ist". "Gott ist mitten in unserem Leben jenseitig", sagt Bonhoeffer, und an anderer Stelle: "Das Jenseitige ist nicht das unendlich Ferne, sondern das Nächste". Denn das ewige Du wird nur in, mit und unter dem zeitlichen Du angetroffen, entweder in der Begegnung mit anderen Menschen oder der natürlichen Ordnung." Robinson Gott ist anders S. 60

Liebe ist hier einfach nur etwas gefühlsmässiges, es ist eine Emotion. Bei Bonhoeffer ist es ein durchaus rationales Kriterium, das Robinson durch seinen Hinweis auf  Kierkegard aus seiner Argumentation ausgeschlossen hat. Was Bonhoeffer wirklich sagt, ist:

"unser Verhältnis zu Gott ist ein neues Leben im 'Dasein für-andere', in der Teilnahme am Sein Jesu." (204)

Das Verhältnis zu Gott bildet sich in dieser Teilnahme am Dasein Jesu. Dies ist die Transzendenz. Und Gott ist eben für Bonhoeffer der Gott der Bibel.

Während Robinson den Gott abschaffen will:

"Denn das ewige Du wird nur in, mit und unter dem zeitlichen Du angetroffen, entweder in der Begegnung mit anderen Menschen oder der natürlichen Ordnung." Robinson, Gott ist anders ... S. 60

Um diese Argumention Robinsons zu wiederholen:

"Er ist - um mit Bonhoeffer zu reden - mitten in unserem Leben jenseitig", eine Tiefe der Wirklichkeit, die "nicht an den Grenzen" des Lebens zu finden ist, sondern "in der Mitte", die nicht der Einsame erreicht, der Zuflucht bei dem 'Einsamen' sucht, sondern die einem - um mit Kierkegaard zu sprechen - durch ein 'tieferes Eintauchen in die Existenz' zuteil wird.." Robinson, Gott ist anders  S. 54

Dies ist gerade nicht Bonhoeffer. Er zitiert Worte, die Boinhoeffer gesagt hat, gibt ihnen aber eine Bedeutung, die das Gegenteil dessen ist, was Bonhoeffer sagt. Was Bonhoeffer tatsächlich sagt ist folgendes:

'...Gott als moralische, politische, naturwissenschaftliche Arbeitshypothese ist abgeschafft, überwunden; ebenso aber als philosophische und religiöse Arbeitshypothese (Feuerbach!) Es gehört zur intellektuellen Redlichkeit, diese Arbeitshypothesen fallen zu lassen bzw. sie so weitgehend wie irgend möglich auszuschalten....

Und wir können nicht redlich sein, ohne zu erkennen, dass wir in der Welt leben müssen - 'etsi deus non daretur' -. Und eben dies erkennen wir - vor Gott - . Gott selbst zwingt uns zu dieser Erkenntnis. So führt uns unser Mündigwerden zu einer wahrhaftigeren Erkenntnis unserer Lage vor Gott. Gott gibt uns zu wissen, dass wir leben müssen als solche, die mit dem Leben ohne Gott fertig werden. Der Gott, der mit uns ist, ist der Gott, der uns verlässt (Markus 15.34)! Der Gott, der uns in der Welt leben lässt ohne die Arbeitshypothese Gott, ist der Gott, vor dem wir dauernd stehen. Vor und mit Gott leben wir ohne Gott. Gott lässt sich aus der Welt herausdrängen ans Kreuz,  Gott ist ohnmächtig und schwach in der Welt und gerade und nur so ist er bei uns und hilft uns." S. 191/192

Dies fasst dann Bonhoeffer wieder zusammen:

"Insofern kann man sagen, dass die beschriebene Entwicklung zur Mündigkeit der Welt, durch die mit einer falschen Gottesvorstellung aufgeräumt wird, den Blick frei macht für den Gott der Bibel, der durch seine Ohnmacht in der Welt Macht und Raum gewinnt. Hier wird wohl die 'weltliche Interpretation' einzusetzen haben." Bonhoeffer, Widerstand ...S. 193

Der Gott, der alles in allem ist.

Ich möchte jetzt ausgehen von einer Reflektion des Paulus zur Gottesvorstellung:

"Wie nämlich in Adam alle sterben, so werden in Christus alle lebendig gemacht werden. Ein jeder aber in der für ihn geltenden Reihenfolge: als Erster Christus, dann, wenn Christus kommt, alle, die zu ihm gehören. Danach kommt das Ende, wenn er Gott, dem Vater, die Königsherrschaft übergibt, nachdem er jede Macht und Gewalt und Kraft vernichtet hat. Denn er muss als König herrschen, bis Gott ihm alle Feinde unter seine Füße gelegt hat. Als letzter Feind wird der Tod vernichtet; denn alles hat er seinen Füßen unterworfen. Wenn es aber heißt: Alles ist unterworfen, ist offenbar der ausgenommen, der ihm alles unterworfen hat. Ist ihm aber alles unterworfen, dann wird auch der Sohn selbst sich dem unterwerfen, der ihm alles unterworfen hat, damit Gott alles in allem ist. "(1 Kor 15,22–28)

Hier gibt es den Gott, der Macht ist und daher immer die Macht hat. Er vernichtet seine Feinde. "Als letzter Feind wird der Tod vernichtet; denn alles hat er seinen Füßen unterworfen." Alles wird unterworfen von diesem Gott. Aber wenn ihm dann alles unterworfen ist, dann wird als Grund dieser Unterwerfung genannt: "Damit Gott alles in allem ist." (Ich nehme an, dass dieser Gott, der alles in allem ist, der Gott ist, der für Bonhoeffer Gott der Bibel ist.) Aber dieser Gott wird nur sichtbar, "nachdem er jede Macht und Gewalt und Kraft vernichtet hat".

Ich nehme an, dass für Bonhoeffer der "Gott, der alles in allem ist" der "Gott der Bibel" ist. Der alles vernichtende und unterwerfende Gott kann es wohl nicht sein. Aber Paulus sieht diese Entstehung des höchsten Gottes  als etwas, das sich  dadurch aufzwingt, dass "jede Macht und Gewalt und Kraft" noch wirksam sind.  Mit ihnen ist für Paulus als letzter Feind der Tod verbunden.

Paulus spricht hier über die Endzeit. Es war aber nur der Beginn der Endzeit, die bereits seit fast 2000 Jahre  anwesend ist. In dieser Endzeit geht es darum, den Gott, den es gibt und den es gerade darum nicht gibt, zu überwinden, damit der Gott, der alles in allem ist, uns begleiten kann. Dieser Gott ist es, der uns ruft, aber keinen Willen als seinen Willen aufzwingt. Die Menschen entscheiden, was sein Wille ist, und ihr Kriterium ist das "Sein für die andern". Dieses anderen ist gleichzeitig die Selbstverwirklichung des Menschen. Sie ist ebenfalls gleichzeitig die "Unabhängigkeit von jeder Art von Sklaverei". Als solche ist es der Ruf dazu, zu leben. Und dazu ruft Gott den Menschen durch den Mund von Jesus auf.

Bonhoeffer entdeckt das, was Paulus bereits  entdeckt hatte: der wahre Gott ist der Gott, der alles in allem ist.  Bonhoeffer tut das, was alle grossen Entdecker tun: sie entdecken und zeigen auf, was bereits da war, aber nicht gesehen wurde. Auf einmal ist dann offen da, was immer schon da war. Dass es schon da war, ist der Beweis dafür, dass es etwas absolut Neues ist. Dabei entdeckt dann Paulus, dass der wirkliche Gott eben nicht der Gott ist, der sich alle seine Feinde unterwirft, sondern eben der Gott, der alles in allem ist und an die Stelle des Gottes setzt, daer sich alle Feinde unterwirft. Bonhoeffer entdeckt damit den Gott, den er als Gott der Bibel bezeichnet:

Gott alles in allem. Das scheint mir der Gott Bonhoefers zu sein.

Dies führt dazu, vom Armen auszugehen. Das aber  bedeutet Ohnmacht in der Welt. Aber diese Ohnmacht gibt Kraft, Macht und Raum.

"Nichts von religiöser Methodik, der 'religiöse Akt' ist immer etwas Partielles. der 'Glaube' ist etwas Ganzes, ein Lebensakt.

Jesus ruft nicht zu einer neuen Religion, sondern zum Leben." Bonhoeffer, ,Widerstand ... S. 194

Hier ist Jesus das Leben, er setzt sich also für das Leben sein, denn Jesus ist das Leben. Aber für das Leben sein, impliziert die Option für die Armen und die Schwachen. Die aber ist natürlich rein diesseitig. Dies aber bedeutet: "Gott ist mitten in unserm Leben jenseitig." Jesus ruft nicht auf, christlich zu leben, sondern christlich leben ist diesseitig zu leben. Daher ruft Gott zum Leben auf, nicht zum Christsein. Aber er ruft auf, gibt kein Kommando. Denn zum Leben aufrufen, heisst, Mensch sein: der Mensch ist das höchste Wesen für den Menschen. Dies ist der Wille Gottes. Für den Willen Gottes ist nicht Gott das höchste Wesen für den Menschen, sondern der Mensch. Jesus ist die unmittelbarste Form  der Mensch zu sein, dessen höchstes Wesen der Mensch ist. Damit die Menschheit vor Gott einfach diesseitige Menschheit ist, muss sie nicht christlich sein. Denn jetzt heisst christlich sein,  den Menschen als höchstes Wesen für den Menschen zu haben. Andernfalls wäre der Mensch nicht das höchste Wesen für den Menschen, sondern der Christ (oder was man sonst will: Irgendeine Religion oder auch der Atheismus). Aber dann gibt es keine Menschlichkeit. Der Mensch wäre nicht mündig, er wäre einfach christlich und daher religiös vereinseitigt.

Der Aufruf zum Leben trägt in sich die Jenseitigkeit Gottes. Hier ist ebenfalls der Ort für die Gottesvorstellung  des Papstes Franciscus als dem Rufer, als Jahveh. Dies ist der Mensch, der Gott geworden ist, insofern Gott Mensch und nicht Christ geworden ist.

"Gott ist mitten in unserm Leben jenseitig." Ich glaube, dass dieses Jenseits Gottes hiermit ausgedrückt wird und dies geht in der Moderne von Bonhoeffer aus.

"Ich habe in den letzten Jahren die tiefe Diesseitigkeit des Christentums kennen und verstehen gelernt; nicht ein homo religiosus, sondern ein Mensch schlechthin ist der Mensch, wie Jesus - im Unterschied wohl zu Johannes dem Täufer - Mensch war... Ich glaube, dass Luther in dieser Diesseitigkeit gelebt hat." S. 195

Die Diesseitigkeit des Christentums ist schon ausgedrückt, wenn wir sagen: Gott ist nicht Christ geworden, sondern Gott ist Mensch geworden. Ein grosser Teil der Christen betrachtet diesen Satz als Häresie, ganz besonders, wie ich glaube, tut dies Ratzinger. Die Diesseitigkeit des Christentums  hat zur Voraussetzung: Gott ist kein Gesetzgeber, er ist keine Autorität, die Befehle gäbe und daher auch kein endgültiger Richter. Der Wille Gottes ist, dass der Mensch immer auch ein Mensch für die andern ist. Wenn der Mensch ein Mensch für die anderen ist, tut dieser Mensch den Willen Gottes. Der Mensch soll sich selbst verwirklichen und das ist gerade, Mensch auch für die anderen zu sein. Daher handelt es sich darum, dass der Mensch sich selbst verwirklich, wenn er Mensch für die andern ist. Wenn der Mensch sich selbst verwirklicht, ist es nicht Gott, der den Menschen verwirklicht. Im Menschen ist Gott Mensch geworden.

 Aber der Mensch kann nur ein Mensch für die anderen sein, wenn ihm die Diesseitigkeit des Christentums unterliegt. Nur dann kann der Mensch das höchste Wesen für den Menschen sein, und Gott will, dass dieses höchste Wesen der Mensch ist. Und soweit dies der Wille Gottes ist, ist Gott das höchste Wesen für den Menschen. Der Mensch erkennt Gott als höchstes Wesen für den Menschen einfach deswegen, weil es der Wille Gottes ist, dass der Mensch das höchste Wesen für den Menschen ist. Diese Diesseitigkeit ist auch für Bonhoeffer die wahre Anwesenheit Gottes. Und ich glaube, dass dies eben auch das Denken von Paulus ist, wenn er sagt, dass Gott erst wirklich Gott ist, wenn er als Gott alles in allem ist. Dann kann er der Rufer sein, als den ihn ja heute auch der Papst Franciscus anspricht:

"Schließlich verweist die Ethik auf einen Gott, der eine verbindliche Antwort erwartet, die außerhalb der Kategorien des Marktes steht. Für diese, wenn sie absolut gesetzt werden, ist Gott unkontrollierbar, nicht manipulierbar und sogar

gefährlich, da er den Menschen zu seiner vollen Verwirklichung ruft und zur Unabhängigkeit von jeder Art von Sklaverei". Evangelii Gaudium Nr. 57

Auch dieser Gott ist ein Rufer. Aber es ist wichtig zu erinnern, dass er das bereits schon für Bonhoeffer ist. Aber er ist es auch schon vorher.  Wenn Duns Scotus sagt, dass Gott zum Menschen sagt: "amo, volo ut sis" (Ich liebe, ich will dass du bist) sagt er dies bereits, wenn auch noch auf eher indirekte Weise. Daher sagt Bonhoeffer: "Jesus ruft nicht zu einer neuen Religion, sondern zum Leben."

" Gott ist mitten in unserm Leben jenseitig." Dies ist Gott als "alles in allem". Als solcher ist Gott der Rufer, der Freund, der Leidende und Mitleidende

Horkheimer sagt etwas ähnliches: "Einen unbedingten Sinn zu retten ohne Gott, ist eitel."

Aber es müsste wohl genauer heissen: Einen unbedingten Sinn retten ohne die Hoffnung einer Zukunft absoluter Gerechtigkeit ist eitel. Diese aber ist nur möglich, wenn es einen Gott gibt, der dies verwirklicht. Dies ist der Gott, der mitten in unserem Leben jenseitig ist.

Der Ruf aus dem Transzendenten, das ist jetzt der Ruf Gottes. Aus diesem Transzendenten zu leben, das ist die Selbstverwirklichung. Nicht die Verwirklichung eines Gottes, dessen Wille ein Gesetz für den Menschen ist. Von einem solcher Gott gilt: Ein Gott, den es gibt, gibt es nicht.

Paulus spricht hier über die Endzeit. Es war aber nur der Beginn der Endzeit, die bereits seit fast 2000 Jahre  anwesend ist. In dieser Endzeit geht es darum, den Gott, den es gibt und den es gerade darum nicht gibt, zu überwinden, damit der Gott, der alles in allem ist, uns begleiten kann. Dieser Gott ist es, der uns ruft, aber keinen Willen als seinen Willen aufzwingt. Die Menschen entscheiden, was sein Wille ist, und ihr Kriterium ist das "Sein für die andern". Dieses Sein für die anderen ist die Selbstverwirklichung des Menschen. Sie ist gleichzeitig die "Unabhängigkeit von jeder Art von Sklaverei". Als solche ist es der Ruf dazu, das Leben zu leben. Und dazu ruft bei Bonhoeffer Gott den Menschen durch den Mund von Jesus zum Leben auf, bei Franciscus ruft Gott den Menschen zu seiner vollen Verwirklichung auf und zur Unabhängigkeit von jeder Art von Sklaverei. Beide Aufrufe sind weitgehend identisch. Ich glaube es ist das, was als Projekt des Menschen auftaucht, wenn Gott alles in allem wird und Bonhoeffer führt in diese Wirklichkeit ein. Aber Gott ist hier nicht mehr Gesetzgeber, sondern führt eine Reflektion der Wirklichkeit ein, die der Mensch machen sollte um sich selbst verwirklichen zu können. Der Ausgangspunkt der Reflektion ist daher der Mensch, nicht Gott. Der Mensch macht diese Reflektion dadurch, dass er sich selbst zu verstehen versucht und dabei unterstützt ihn Gott. Es ist der Gott, der Mensch geworden ist.

Das sich hier ergebende Resultat taucht natürlich auch in vielen weiteren Quellen auf. Ich glaube, dass zu diesen Quellen auch Leonard Ragaz gehört. Dieser präsentiert ein Buch von ihm, das den Titel trägt " Von Christus zu Marx – von Marx zu Christus" folgendermassen:

„In diesem Buch habe ich jene Formel herausgearbeitet, welche ich dann immer wieder angewendet habe, von dem fundamentalen, durch die Geschichte gehenden Gegensatz zwischen denen die an Gott glauben, aber nicht an sein Reich, und denen, die an das Reich glauben, aber nicht an Gott,            wobei stets der eine Irrtum den andern hervorruft oder verstärkt, bis die Überwindung des Gegensatzes erfolgt, die in der Botschaft des Reich Gottes und seiner Gerechtigkeit für die Erde und in ihrer Verwirklichung Tatsache wird.“

Etwas Ähnliches gilt für Ignacio Ellacuría  und seine Ausarbeitung des Begriffs  des Gemeinwohls der Menschheit.[23]

Die menschliche Selbstverwirklichung als das Sein für die anderen ist dabei immer der Ausgangspunkt:

"Bultmann scheint nun Barth's Grenze irgendwie gespürt zu haben, aber er missversteht sie im Sinne der liberalen Theologie, und verfällt daher in das typisch liberale Reduktionsverfahren (die 'mythologischen' Elemente des Christentums werden abgezogen und das Christentum auf sein 'Wesen' reduziert). Ich bin nun der Auffassung, dass die vollen Inhalte einschliesslich der 'mythologischen' Begriffe bestehen bleiben müssen - das neue Testamente ist nicht eine mythologische Einkleidung einer allgemeinen Wahrheit!, sondern diese Mythologie (Auferstehung etc.) ist die Sache selbst! - aber dass diese Begriffe nun in einer Weise interpretiert werden müssen, die nicht die Religion als Bedingung des Glaubens ... voraussetzt.... Die Mündigkeit der Welt ist nun kein Anlass mehr zur Polemik und Apologetik, sondern sie wird nun wirklich  besser verstanden, als sie sich selbst versteht,. nämlich vom Evangelium von Christus her."  Bonhoeffer, Widerstand ... S.174/175

Das folgende Zitat kann wie eine gewisse Synthese hierzu gelesen werden:

" Ich habe in den letzten Jahren mehr und mehr die tiefe Diesseitigkeit des Christentums kennen und verstehen gelernt; nicht ein homo religiosus, sondern ein Mensch schlechthin ist der Christ, wie Jesus - im Unterschied zu Johannes dem Täufer- Mensch war. Nicht die platte und banale Diesseitigkeit der Aufgeklärten, der Betriebsamen, der Bequemen oder der Lasziven, sondern die tiefe Diesseitigkeit, die voller Zucht ist, und in der die Erkenntnis des Todes und der Auferstehung immer gegenwärtig ist, meine ich." Bonhoeffer, Widerstand S. 195

[1] Dies Buch hat den englischen Titel "Honest to God" und erschien 1963. Die deutsche Ausgabe erschien im gleichen Jahr: Robinson, John A./T.: Gott ist anders. Honest to God. Chr. Kaiser Verlag. München, 1963

[2] Robinson S.47   (de Bonhoeffer, Dietrich: Widerstand und Ergebung - Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft, Chr. Kaiser Verlag, München, 1951. S. 241/242)            

[3] Nietzsche, Friedrich herausgegeben von Karl Schlechta. Hansa Verlag München. 1981. Bd. II, Götzen-Dämmerung. S. 963

[4] Franz J. Hinkelammert  Gott wird Mensch und der Mensch macht die Moderne. Zur Kritik der Vernunft in der abendländischen Geschichte – ein Essay. EDITION EXODUS Luzern 2021

[5] Es handelt sich vor allem um folgende Analysen:

Walter Bochsler Der Thermidor des Christentums. Sozialgeschichtliche Aspekte seiner frühen Entwicklung. In: Urs Eigenmann, Kuno Füssel, Franz J. Hinkelammert (Hrsg.) Der himmlische Kern des Irdischen. EDITION EXODUS, Luzern Edition ITP-Kompass, Münster

Urs Eigenmann Das Reich Gottes und seine Gerechtigkeit als himmlischer Kern des Irdischen. Das Christentum als pauperozentrischer Humanismus der Praxis. In: Urs Eigenmann, Kuno Füssel, Franz J. Hinkelammert (Hrsg.) Der himmlische Kern des Irdischen. EDITION EXODUS, Luzern Edition ITP-Kompass, Münster

Kuno Füssel Die bürgerliche Gefangenschaft der Theologie. In: Urs Eigenmann, Kuno Füssel, Franz J. Hinkelammert (Hrsg.) Der himmlische Kern des Irdischen. EDITION EXODUS, Luzern Edition ITP-Kompass, Münster

[6] Edward Hay, Justo a tiempo, Norma, Bogotá 1991, S. 31; zit. nach Henry Mora Jiménez, Modernización capitalista y trabajo improductivo: Más allá del Justo a tiempo. Una investigación sobre la naturaleza del trabajo improductivo en las unidades empresariales de una economía capitalista (Tesis de doctorado, ULACIT), San José/Costa Rica 1994, S. 150.

[7] Sollte jemand zweifeln daran, dass auf diese Weise tatsächlich in den Erfahrungswissenschaft Stellung genommen wird, kann ich nur raten, im Computer unter dem Stichwort "vollkommener Wettbewerb" zu suchen. Er wird dann sehr leicht finden, dass immer von der Voraussetzung vollkommener Faktenkenntnis gesprochen wird. Folglich wird eine wahre Welt gepredigt. Ohne aber das Wort zu benutzen.

[8] Nietzsche, Friedrich herausgegeben von Karl Schlechta. Hansa Verlag München. 1981. Bd. II, Götzen-Dämmerung. S. 963

[9] Dietrich Bonhoeffer: Akt und Sein, Transzendentalphilosophie und Ontologie in der systematischen Theologie, München 1956, S.94 (Habilitationsschrift von 1929)

[10] Evangelii Gaudium, Nr. 57

[11] Diese Übersetzung mit dem Wort Plebejer habe ich nur in der spanischen Bibelübersetzung  als Jerusalemer Bibel gefunden. Aber ich empfinde diese Übersetzung gerade als die beste für das Projekt von Paulus.

[12] Augustinus  stellt sich selbst in einem Gespräch dar. Er wird gefragt:

"Darum sage mir, ob der Sklave, der seinen Herrn ums Leben bringt aus Furcht, von ihm schwer gepeinigt zu werden, nicht auch zu jenen gezählt werden muß, die, obwohl sie töten, doch nicht den Namen eines Mörders verdienen." S.12

Er antwortet darauf:

"Wie wäre es, wenn du überlegtest, ob nicht der Sklave gerade zum Zwecke der Befriedigung seiner Lüste die Furcht vor dem Herrn loswerden will, bevor du dich zu der Annahme versteigst, ein solches Verbrechen müsse ungestraft bleiben? Denn furchtlos zu leben ist nicht nur der Wunsch der Guten, sondern auch aller Bösen. Der Unterschied besteht bloß darin, dass die Guten danach trachten, indem sie sich von der Liebe zu jenen Dingen abwenden, die in sich die Gefahr des Verlustes bergen, während die Bösen sich gerade um die Sicherung dieser Genüsse bemühen und mit allen Mitteln das Hindernis bekämpfen, das sie ihnen vorenthalten könnte. Darum ihr lasterhaftes und von Freveln beflecktes Leben, das besser Tod als Leben genannt wird." S. 13

In Augustinus, Aurelius: Die Ordnung. Schöningh. Paderborn, 1947. Auf Seite 57 wird Catalina als der große Verbrecher und Cicero als Freiheitsheld dargestellt. S. 42/43 ist das Gedächtnis Sklave oder Sklavin, die sich perfekt unterordnen.

Zuvor hatte Paulus die Sklaverei als illegitim erklärt, obwohl er die Abschaffung der Sklaverei in diesem historischen Moment, in der lebte, nicht für möglich hielt.

[13] Ratzinger, Joseph: Europa – verpflichtendes Erbe für die Christen. In: König, Franz/ Rahner, Karl (Hgg.): Europa. Horizonte der Hoffnung. Graz u.a. 1983. 61-74. Hier 68.

[14] Robinson, John A.T.: Gott ist anders. Honest to God. Kaiser Verlag München, 1963. S. 120/121

[15] Die spanische Ausgabe des Textes spricht ausdrücklich von Sklaverei. Wenn die deutsche Ausgabe aber nicht von Sklaverei spricht, sondern von "Unterdrückung", kann ich das nur als Manipulierung der Übersetzung auffassen Ich benutze daher das Wort Sklaverei.

Entsprechend sagt die Übersetzung des Vorworts des Dekalogs folgendes:" Ich bin der Herr, dein Gott, der dich aus Ägypten, dem Sklavenhaus, herausgeführt hat. (Ex 20,2 Jerusalemer Bibel)

Man sieht dann, dass die von Franziskus zitierten Worte eine einfache Weiterführung der Worte Gottes

in Exodus 20,2 sind.  Man sieht dann, dass der Gott des Franziskus derselbe Gott ist, der am Anfang der Bibel steht: es ist der Gott Jahwe, der aber jetzt durch die Menschwerdung hindurchgegangen ist.

[16] Euripides, "Iphigenie in Aulis" Reclam, Stuttgart, 1984, S.53

[17] Juan Jacobo Tancara Chambe: Teología secular y profana  (un planteamiento)

[18] MEW.  Ergänzungsband Erster Teil. Ökonomisch-philosophische Manuskripte aus dem Jahre 1844 S. 537

[19] Lévinas, Emmanuel: Wenn Gott ins Denken einfällt. Diskurse über die Betroffenheit von Transzendenz. Alber. Freiburg/München. (erste Ausgabe: Lévinas, Emmanuel: De Dieu qui vient a l'idée. Paris, 1986) S. 115

[20] Habermas, Jürgen: Faktizität und Geltung. Beiträge zur Diskurstheorie des Rechts und des demokratischen Rechtsstaats, Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1993, S. 259 f.

[21] Bonhoeffer, Dietrich: Widerstand und Ergebung. Briefe und Aufzeichnungen aus der Haft. Herausgeber  Eberhard Bethge Gütersloher Verlagshaus 1952 S. 142

[22] Robinson. Dies Buch hat den englischen Titel "Honest to God" und erschien 1963. Die deutsche Ausgabe erschien im gleichen Jahr: Robinson, John A./T.: Gott ist anders. Honest to God. Chr. Kaiser Verlag. München, 1963 S. 54

[23] siehe:

Romero Cuevas, José Manuel: La actialidad de la hiostorización. La contribución de Ignacio Ellacuría a los debatesn actuales sobre ideología. Realidad. Revisra de Ciencias Sociales y Humanidades. N. 1555, Enero-Junio 2020 S. 67

tde Frutos, Juan Antonio: Ellacuría y el horizonte del bien común de la humanidad. Realidad. Revista de Ciencias Sociales y Humanidades. N. 1555, Enero-Junio 2020 S. 105

Escribir un comentario


Security code
Refrescar

Videos Destacados

On Dualism in Christianity: Satan vs. Lucifer

video1

On Anti-Utopianism

video2

On Utopias of the Left and the Right

video3

On Liberation Theology in the 21st Century

video4